Am 25. November 2015 ging der erste Beitrag des fernetzt-Blogs online: Eine kleine Ankündigungsnotiz, dass wir mit einer neu gestalteten Webseite einen frauen- und geschlechterhistorischen Blog ins Leben rufen. Zehn Jahre später bloggen wir immer noch und haben mittlerweile 131 Beiträge veröffentlicht.
Ein Blick auf die Buchhaltung, …
Wie es sich für Historiker:innen gehört, nutzen wir dieses runde Jubiläum dazu, in das vergangene Jahrzehnt zu blicken und ein wenig Buchhaltung zu betreiben: zehn Jahre Arbeit, die sich anhand von 131 Beiträgen (132 seit heute!) abrechnen lassen. Zu Beginn noch mit dem Vorsatz gestartet, zweiwöchentlich zu bloggen, sind wir bald zu einem monatlichen Rhythmus mit einer Sommerpause und zwei Redaktionssitzungen pro Jahr gekommen. Unter den 131 Veröffentlichungen finden sich 107 Artikel von MA- und Diplomstudierenden, Doktorand:innen und Post-Docs, sechs Rezensionen von aktuellen Publikationen, vier Interviews mit Professorinnen, Kuratorinnen und Medienmacherinnen, und 14 Redaktionshinweise auf Veranstaltungen und (online) Ausstellungen.

Das Herzstück unseres Blogs ist also die beeindruckende Anzahl an thematischen Artikeln in den Kategorien ForschungsErgebnisse (36), Gesellschaft&Geschichte (31), QuellenArbeit (30), ForschungsAlltag (9) und Veranstaltung (1). Obwohl die große Mehrheit an veröffentlichten Beiträgen auf Deutsch erschienen ist, finden sich auch sieben in englischer Sprache. Unter den 107 Beiträgen wurden vier in einem Autor:innenteam verfasst; zudem wurden zwei Interviews in einem Tandem geführt. Die Autor:innen der Blogbeiträge arbeite(te)n in Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Schweden, Ungarn, in der Schweiz und den USA. Und während die meisten Autor:innen nur einen Beitrag für uns geschrieben haben, gibt es doch 17, die mehr als einen Blogartikel verfassten.
… thematische Vielfalt und Schwerpunkte …
Dieser große Kreis an Schreiber:innen sorgte auch für eine große thematische Vielfalt der Blogposts, wobei sich ein eindeutiger Schwerpunkt in der Zeitgeschichte sowie im 19. Jahrhundert herausgebildet hat. Inhaltlich lassen sich mehrere Cluster erkennen: Körper und Arbeit, Sexualität und Erinnerungspolitik sowie – für einen Blog der Frauen- und Geschlechtergeschichte nicht überraschend – Archive, Feministische Theorie und Gender. Weitere Schwerpunkte bilden sich bei Beiträgen zu Frauenbewegungen, Medien, Nationalsozialismus, Sozial- und Alltagsgeschichte und der Frühen Neuzeit heraus.

Eine Stichwortsuche zeigt, dass Autor:innen sich mit aktuellen, drängenden Themen genauso befasst haben, wie mit historischen Forschungsfragen. Die Suche nach „Abtreibung“ verrät, dass es nicht nur das zentrale Thema von drei Beiträgen war, sondern fünf weitere es ebenso thematisieren. Der Themenkomplex Besitz und Erben umfasst mehrere Beiträge zum Spätmittelalter und dem 18. Jahrhundert; Artikel zu Männlichkeit konzentrieren sich wiederum vor allem auf Arbeit und Militär, greifen jedoch auch zeitgenössische Debatten in Spielemagazinen auf.
Wenngleich sich zu manchen Themen Beiträge häufen, decken die Blogtexte insgesamt eine große epochale und thematische Bandbreite ab. Sie reichen von Kriegerinnen der chinesischen Bronzezeit über sexuelle Gewalt an versklavten Frauen im mittelalterlichen Westmittelmeerraum und dem Phänomen der indirekten „Selbsttötung durch Todesstrafe“ im frühneuzeitlichen Wien bis zu Berliner Fahrradfahrerinnen um 1900 und der Erinnerungsarbeit an die Aktivitäten der jugoslawischen Antifaschistischen Frauenfront. Die Beiträge gewähren den Leser:innen damit vielfältige Einblicke in aktuelle Forschungen und geschichtspolitische Auseinandersetzungen.
… und hinter den Vorhang
Alle thematischen Beiträge, die von uns publiziert werden, durchlaufen ein sorgfältiges Reviewverfahren durch zwei Redaktionsmitglieder, die diese auch für das Bloglayout aufbereiten und online stellen. Momentan wird der Blog von sieben ehrenamtlichen Redakteur:innen betreut: Elisabeth Berger, Pauline Bögner, Veronika Helfert, Michaela Maria Hintermayr, Thomas Rohringer, Brigitte Semanek, Viktoria Wind und Marion Wittfeld. Fünf weitere Kolleg:innen waren in der Vergangenheit für den Blog tätig: Theresa Adamski, Elizabeth Kata, Irene Messinger, Jessica Richter und Tim Rütten.
Entstanden ist der Blog aus dem Interesse heraus, eine Plattform zu haben, „um gesellschaftskritische, wissenschaftshistorische und geschlechtergeschichtliche Beiträge zu veröffentlichen“, wie es Veronika ausdrückt. Und in der Tat haben auch einige aus der Redaktion die Chance genützt, um Publikationen zu rezensieren, Filme zu besprechen und aus der eigenen Forschungsarbeit zu berichten. Irene etwa erinnert sich noch gut an die ersten Redaktionssitzungen von 2014 bis 2016, in denen der Blog konzipiert wurde, und zeigt sich beeindruckt, „wie gut das aufgegangen ist […] und dass es immer noch funktioniert.“

Für viele in der Redaktion ist zuallererst die Freude an frauen- und geschlechterhistorischen Themen und an der redaktionellen wissenschaftlichen Arbeit der Grund in der Redaktion mitzutun. „Das Format Blogartikel – kürzer als Zeitschriftenaufsätze, länger als Social Media Posts, tiefgründiger als populärwissenschaftliche Artikel – funktioniert auch nach zehn Jahren immer noch gut und ist erkenntnisbringend“, begründet Brigitte ihre Mitarbeit. Ein Format, in dem „frauen- und geschlechtergeschichtliche Forschungsideen ausprobiert werden, die an anderer Stelle keinen Platz finden“, wie Pauline betont. Und Marion meint dazu: „Ich mag den fernetzt-Blog, weil er Forschung in Geschichten verwandelt und sie auch für Menschen zugänglich macht, die sonst wenig mit Universität oder Wissenschaft zu tun haben.“
Es ist aber auch der kollegiale und freundschaftliche Austausch, gegen die Vereinzelung im Wissenschaftsbetrieb, der viele von uns an der Stange hält, wenn wir neben Lohnarbeit und Forschen einen Text feedbacken oder Bilder fürs WordPress zuschneiden: „Es braucht solidarische Netzwerke in der heutigen Academia, in der fernetzt-Redaktion bin ich Teil davon“, schreibt Viktoria.
10 Beiträge, die uns im Kopf geblieben sind
In Vorbereitung für unser Jubiläum haben wir aber nicht nur überlegt, warum wir die Arbeit am Blog machen, sondern auch eine kleine Umfrage in der aktuellen und ehemaligen Redaktion durchgeführt, ob es Lieblingsartikel gibt. Thomas und einige andere konnten sich unmöglich festlegen – auch weil vielen von uns gerade die selbst betreuten Beiträge ans Herz gewachsen sind. So schreibt Theresa etwa: „Beim Scrollen durch den fernetzt-Blog für diese Aufgabe war ich zunächst unglaublich beeindruckt, wie viele Einträge es mittlerweile gibt. Jeden einzelnen würde ich empfehlen.“ Diesen Eindruck unterstreicht Elisabeth und ergänzt: „Ich habe keine Lieblingsbeiträge […]. Viele davon sind einfach hervorragend geschrieben und von den Autor:innen wunderbar gestaltet.“ Und alle in der Redaktion können Michaelas Feststellung nur zustimmen: „Das Großartige an unserem Blog ist, dass ich eigentlich bei jedem Beitrag was Neues entdecke und dazulerne. Das macht den Blog und die Arbeit dahinter so wertvoll für mich.“
Wenn uns also auch bewusst ist, dass das eine sehr subjektive und unvollständige Liste ist, wollen wir dennoch auf ein paar Beiträge hinweisen, die einigen von uns aus den unterschiedlichsten Gründen im Kopf hängen geblieben sind.1 Anstatt diesen zehn könnten aber auch 97 andere stehen! Lasst uns doch in den Kommentaren wissen, welche Beiträge euch im Gedächtnis geblieben sind.
- Peirou Chu: Unterbringung von Singlefrauen in der Stadt. „Soziales Denken hinter dem Wohndesign in der Zwischenkriegszeit – mich interessieren die Themen Wohnen/Wohnraum und damit verbundene Vorstellungen von (Nicht-)Familie gerade sehr. Oft machen mich Beiträge auf fernetzt erst auf interessante Themen aufmerksam. Oder ich interessiere mich für ein Thema und schau mal, was es auf fernetzt dazu schon gibt.“ (Viktoria)
- Therese Garstenauer: Standesbewusstsein als männliche Tugend? „Ein Beitrag, den ich auch schon mit Studierenden gelesen habe, weil er theoretisch fundiert (mit Klassikerinnen wie Karin Hausen und Joan Scott) die Quellen zur Beamtenschaft des frühen 20. Jahrhunderts mit treffenden Beispielen (Wer grüßt in der Hierarchie zuerst?) lebendig werden lässt.“ (Irene)
- „Ein ganz besonderer Text ist für mich Markus Gönitzers Beitrag über geschlechtersensible Vermittlungsarbeit am Peršmanhof. Einerseits, weil es der erste Text war, den ich für den Blog vorgeschlagen und redaktionell betreut habe und andererseits, weil die aktuell medial sehr breit diskutierten Ereignisse am Peršmanhof zeigen, wie politisch brisant Erinnerungsarbeit ist.“ (Theresa)
- Anna Jungmayr u. Alina Strmljan: Feministisch Kuratieren! „Diesen Beitrag mag ich total gern, weil er so schön zeigt, wie der feministische Blick auf Ausstellungen ganz neue Perspektiven aufmacht und auch als eine Art Handlungsanleitung/To-Do für feministische Ausstellungspraktiken dienen kann.“ (Viktoria)
- Susanne Korbel: Jüdisch-nichtjüdische Begegnungen in „privaten“ Räumen im Wien des frühen 20. Jahrhunderts. „Dieser Beitrag ist nicht nur inhaltlich spannend, sondern führt die Leser:innen mit auf die Spuren des Forschungsprozesses und der Fruchtbarkeit von Raumkonzepten in der Geschichtswissenschaft. Die verantwortliche Redakteurin führte er vor die im Beitrag genannte Adresse: Ein Wohnhaus in der Leopoldstadt, das es nicht mehr gibt, und damit für die gewaltvolle Geschichte Wiens im 20. Jahrhundert steht.“ (Veronika)
- Barbara Leier-Kriz: Die Schreibmaschine – ein fortschrittliches Fraueninstrument? „Ich lasse die Student:innen auch ab und zu im Blog lesen und sich Texte aussuchen. Und sie landen eigentlich dauernd bei der Schreibmaschine.“ (Jessica)
- Die Historikerin und der Staub. „Der Beitrag von Waltraud Schütz macht von etwas auf den ersten Blick Banalem, wie Staub, wichtige Überlegungen zum historischen Forschen und Arbeiten in und mit Archiven in Zeiten der Digitalisierung und Prekarisierung der Forschung auf. Die graulich-schwarzen Fingerkuppen nach einem Tag im Archiv sind wohl allen Historiker:innen bekannt, die tagtägliche (Nicht-)Auseinandersetzung mit dem Tod ebenso.“ (Pauline)
- Jelena Tešija: The potential of doing laundry? Let the source speak! „Weil der Text ein schönes Beispiel für quellenzentrierte Forschung und für die freiere Form von Blogartikeln ist, in denen sich Überlegungen, in dem Fall zu Arbeits-, Stadt- und Alltagsgeschichte, auch abseits von peer-review-Verwertungslogiken anstellen lassen.“ (Brigitte)
- Julia Anna Tyll-Schranz: Freundinnenschaft. Aus der Lebensgeschichte einer jugoslawischen Arbeitsmigrantin. „Die Biografie der interviewten Frau und ihre bemerkenswerte Stärke haben mich nachhaltig beeindruckt. Der Beitrag ist nicht nur fesselnd zu lesen, sondern verdeutlicht zugleich die Bedeutung lebensgeschichtlicher Interviews: Sie können Stimmen Gehör verschaffen, die sonst nur selten gehört werden.“ (Marion)
- Lucia Wieger: Kollektiv leben im Einküchenhaus: „Das ist ein Text von 2021 über das Wiener Einküchenhaus ‚Heimhof Frauenwohnheim‘, das nirgendwo sonst in dieser Ausführlichkeit beschrieben ist. In meiner Dissertation spielen kollektive Wohnformen eine Rolle, deshalb war dieser Text sehr hilfreich.“ (Theresa)
Dass der Blog zehn Jahre erfolgreich spannende Beiträge veröffentlicht hat, ist dank der ehrenamtlichen Arbeit vieler passiert: der Autor:innen und der Redakteur:innen. Die Unterstützung des Instituts für Geschichte der Universität Wien erlaubt es, die Blogseite über die Universität hosten zu lassen. Durch den finanziellen Beitrag des fernetzt-Vereins und seiner Mitglieder wird die Instandhaltung und Wartung des Blogs ermöglicht. Für die technische Unterstützung und Expertise möchten wir an dieser Stelle vor allem Claudia Jandl und Björk Kosir danken!
Wir freuen uns auf weitere Jahre Redaktionsarbeit und neue spannende Einreichungen! Alle Infos zum Mitarbeiten und zum Einreichen von Artikel-Ideen findet ihr hier: https://fernetzt.univie.ac.at/mitmachen/.
Abbildungen
Abb. 1: Titelbild „10 Jahre“. Lilac sparkling background, publicdomainpictures.net, bearbeitet von Brigitte Semanek.
Abb. 2: Schlagwörter-Wolke, erstellt mit https://www.freewordcloudgenerator.com/generatewordcloud.
Abb. 3: Die Bilder, die für die Collage verwendet wurden, dienen als Titelbilder für folgende Beiträge: Elisa Heinrich: Reden und Schweigen – Deutsche Frauenbewegungen und Homosexualität um 1900; Elizabeth Kata: Frauenbewegter Geschichte auf der Spur? Im STICHWORT forschen; Kathryn Gary: Income and the household: women’s work and wages in early modern Sweden; Anne-Sophie Banakas: Frau und „Herrscher“: Maria Theresia und ihre Porträts (1740–1780); Heike Mauer: Der Haushalt als Kampfplatz gegen Prostitution und Alkoholismus; Linda Erker: Der „gottgewollte“ Platz der Frau an der Uni Wien ab 1933; Carina Siegl: Wenn Welten kollidieren. Auf den Spuren von Frauen im spätmittelalterlichen Wien; Elif-Süsler-Rohringer: A wishful flowy space for women: Şalvar; Julia Lenart: Bergsteigerinnen im ‚Männerraum‘ Gebirge; Nike Kirnbauer: Beziehungsweisen in der Autonomen Frauenbewegung in Österreich; Laura Hazivar: Zwei Frauen vor Gericht: Franquistische Terrorprozesse in der österreichischen Presse; Julia-Anna Tyll-Schranz: Freundinnenschaft: Aus der Lebensgeschichte einer jugoslawischen Arbeitsmigrantin; Anna Jungmayr u. Alina Strmljan: Feministisch Kuratieren!; Veronika Ebner: Die Fahrradfahrerin als Symbol der modernen Frau.
Anmerkung
- Wir haben uns dafür entschieden, dass Beiträge von Mitgliedern der Redaktion nicht in der Liste aufgenommen werden, auch wenn einige genannt wurden. Auf der Autor:innenseite werden übrigens alle von der:dem jeweiligen Autor:in verfassten Artikel verlinkt.
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