Von der Vereinzelung zum Vereinsjubiläum – fünf Jahre fernetzt

Fernetzt Vereinsvorstand, Juni 2016

Der fernetzt-Vereinsvorstand im Juni 2016 (Foto: Petra Schiefer)

Die Dissertant*inneninitiative fernetzt gab es ja schon lange vor dem Launch dieses Blogs. Zum 5-jährigen Vereinsjubiläum blicken wir zurück auf die Anfangszeit, auf unsere Erfahrungen und die Projekte, die aus diesem Netzwerk entstanden sind.

Alles fing bei einem Gläschen Pastis nach einem wunderbaren Abendessen in Lyon an. 2009 begegneten sich fünf Diplomand*innen und Dissertant*innen der Universität Wien bei einer Summer School des Internationalen Masterstudiums für Europäische Frauen- und Geschlechtergeschichte MATILDA[1] und waren Feuer und Flamme nicht nur von der wunderschönen französischen Stadt und dem großartigen Essen, sondern auch von den intensiven Diskussionen über die jeweiligen Abschlussarbeiten. Bei der Summer School waren 25 Nachwuchswissenschafter*innen und einige Professorinnen von insgesamt fünf verschiedenen europäischen Universitäten anwesend.

Geteilte Probleme

Zurück in Wien fiel uns dann vor allem eines wieder auf: Im Universitätsalltag fehlten uns diese intensive Beschäftigung und der Austausch untereinander – auch wenn wir uns weiterhin lose trafen. Nach Gesprächen mit Kolleg*innen und Freund*innen stellten wir fest, dass wir uns an einem ähnlichen Punkt wiederfinden wie schon viele Jungwissenschafter*innen in den Geistes- und Sozialwissenschaften vor und nach uns: Wunderbare Masterarbeiten und Dissertationsprojekte im Werden und voller Enthusiasmus und Ideen, aber auch zum ersten Mal wirklich konfrontiert mit den Herausforderungen und Härten der akademischen Welt. Es sind strukturelle Bedingungen, an denen auch die besten Betreuer*innen wenig ändern können.

Gerade Dissertant*innen können ein Lied davon singen: Förderungen sind rar und (wenn vorhanden) oft prekär. Ein Studium im Rücken, das aber viele neue Fragen unbeantwortet lässt: Ein Forschungsdesign muss her und zwar eines, dass allen Regeln der Kunst Stand hält… äh, aber wie? Und weil die*der Jungwissenschafter*in ja gefälligst auch nicht im stillen Kämmerlein versinken soll: Wie schreibt eine*r eigentlich Abschlussarbeiten, Journalbeiträge, Konferenzbewerbungen oder Stipendienanträge, so dass sie auch etwas werden bzw. das Ergebnis sich sehen lassen kann? Wie organisiert eine*r Konferenzen und macht all das, was da plötzlich von uns verlangt wird, mit dem ewig drohenden „publish or perish“ im Genick? Wir hatten ja sehr wohl engagierte Lehrende und Professor*innen, aber letztlich fanden wir uns doch auf uns allein zurückgeworfen. Dies war aber nur einer unserer Ausgangspunkte, als wir uns vor nunmehr sechs, sieben Jahren zusammenfanden, um Lesekreise und Unterstützungstreffen zu organisieren.

Selbst gestalten statt gestaltet werden!

Der andere Anstoß war weniger aus der Not, als aus gemeinsamer Freude geboren. Das Studium der Frauen- und Geschlechtergeschichte liebten wir ja sehr, aber nun war einmal etwas Eigenes an der Reihe: Wer will schon immer nur vorgegebene Seminararbeiten schreiben oder Referate für gute Noten halten? Der endlosen Verschulung fühlten wir uns längst entwachsen, somit wuchs der Wunsch, eigene Pläne umzusetzen – und zwar dezidiert auch aus einem politischen Interesse heraus.

Als Feministinnen hatte das Studium der Frauen- und Geschlechtergeschichte für uns ja gerade den Sinn zu verstehen, wie vergangene und heutige (Geschlechter-)Ungleichheiten und Diskriminierungen entstanden sind und sich entwickelt haben. Gemeinsam wollten wir unsere jeweiligen Standpunkte und Analysen schärfen, diskutieren und möglichst auch in die Öffentlichkeit tragen.

Eine der ersten Gelegenheiten dafür hatten wir, als wir 2010 gemeinsam mit anderen Dissertant*innen in das Schattenbild „Der Muse reicht’s“ im Arkadenhof mit bunter Kreide die Namen vieler Wissenschaftlerinnen der Universität Wien schrieben. Diese Aktion fand anlässlich der Tagung „Geschlecht und Wissenschaft. Politiken der Partizipation und Repräsentation“ statt und sollte ein Gegengewicht zu den stets mit Namen versehenen Büsten der männlichen Wissenschaftler schaffen.[2]

„DissMiss“ wächst heran – und wird „fernetzt“

Unser noch recht loser Zusammenschluss, den wir irgendwann einmal recht launig „DissMiss“ genannt hatten, traf sich bald regelmäßig, um gemeinsam zu lesen, zu diskutieren und unsere Master- und Dissertationsprojekte zu besprechen. Wir wollten aber mehr – ein größeres Netzwerk mit anderen Jungwissenschafter*innen, die sich gegenseitig unterstützen. Und auch eine eigene Tagung schwebte uns vor. Dafür brauchten wir eine feste Struktur, um besser nach außen vertreten zu sein und gegebenenfalls finanzielle Mittel einwerben zu können.

fernetzt-Diskussion im Arkadenhof

Fernetzt diskutieren – manchmal auch an der frischen Luft (Foto: Veronika Helfert)

Gesagt, getan – wir gründeten den Verein „fernetzt“ im Frühjahr 2011 – bestehend zunächst aus einem harten Kern von fünf Mitstreiterinnen, mit denen gerade eben die offiziell notwendigen Vorstandsposten abgedeckt werden konnten. Als Vorstand im eigentlichen Sinne haben sich die Mitglieder allerdings nie verstanden: fernetzt sollte von Anfang an ein offenes Forum für junge Forscher*innen sein, die sich in der Frauen- und Geschlechtergeschichte oder verwandten Disziplinen verankert sahen und die unhierarchisch miteinander arbeiten, diskutieren, planen und lachen können sollten.

Ein offenes Netzwerk

Mitmachen kann im Prinzip also jede*r – oder fast. Denn genderdiskriminierende Positionen, Rassismus und andere Formen der Ausgrenzung haben selbstverständlich nichts bei uns verloren. Heute zählt fernetzt 27 Vereinsmitglieder, die in den letzten Jahren eine Menge gemeinsam auf die Beine gestellt haben.

So haben sich neben „klassischen“ Lesekreisen mittlerweile einige regelmäßige Veranstaltungsformate etabliert – sei es, um gemeinsam inhaltlich unsere jeweiligen Forschungsarbeiten zu diskutieren (fernetzt eure Projekte) oder um sich kennenzulernen, wieder zu sehen, zu quatschen und zu fernetzen (fernetzungstreffen). Sehr erfolgreich, was Output und Unterstützung betrifft, war auch ein über Monate laufender Schreibmarathon 2012. Da gemeinsam Spaß haben sowieso das Wichtigste (und schließlich auch die Basis aller gemeinsamen Projekte) ist, gibt es Sommer- und Weihnachtsfeste sowie fernetzt fernsehen, bei dem wir thematisch passende Filme anschauen und aus einer frauen- und geschlechterhistorischen Perspektive besprechen.

Ein erstes fernetztes Highlight

Unser größtes Highlight war bisher unsere erste internationale Dissertant*innentagung „Un/diszipliniert? Methoden, Theorien und Positionen der Frauen- und Geschlechtergeschichte“,[3] die im Februar 2012 vor einem großen Publikum an der Universität Wien abgehalten worden ist. In diesem Jahr wird endlich auch der Sammelband der Tagung – unsere erste gedruckte fernetzt-Publikation – im StudienVerlag erscheinen.

Die Tagungsorganisatorinnen

Die Organisatorinnen der Tagung „Un/diszipliniert“ (Foto: Jakob Zerbes)

Die Tagung war eine für uns logische Konsequenz aus unserer Feststellung heraus, dass es an den Universitäten für viele Dissertant*innen zu wenig Raum gibt, um forschungspraktische Probleme und Fragestellungen ausführlich besprechen zu können. Welcher Methoden bedienen wir uns und wie lässt sich die besondere Herausforderung interdisziplinär orientierter feministischer Geschichtswissenschaft lösen? In welche theoretische Tradition stellen wir uns bzw. stellen wir uns gerade nicht? Welche Kritik kommt in unserer Forschung zum Ausdruck (oder auch nicht) und was ist der Mehrwert geschlechter- und frauengeschichtlicher Ansätze für das Verständnis (historischer) Gesellschaften, der diese Kritik entspringt? All dies waren Fragen, die uns beschäftigten. Das rege Interesse an der Tagung „Un/diszipliniert?“ belegte im Übrigen unsere Analyse, dass der Bedarf von Nachwuchswissenschafter*innen an Austausch hoch und das Bewusstsein über fachliche Gemeinsamkeiten und geteilte Probleme wichtig ist.

Doch die Tagung hatte auch einen weiteren Effekt: Wir konnten damals Kontakte ins europäische Ausland knüpfen, die uns halfen über den eigenen Tellerrand zu schauen. Es war uns wichtig, die angestoßene Vernetzung weiter zu führen, was allerdings aufgrund der räumlichen Distanz mitunter schwierig ist.

Ein Blog zur weiteren fernetzung

fernetzt-Blog-Redaktionssitzung

Blog-Redaktionssitzung im Jänner 2016 (Foto: Veronika Helfert)

Eine Möglichkeit dem entgegenzuwirken war es schließlich, einen virtuellen Raum der fernetzung zu schaffen. Inspiriert durch einen im Herbst 2014 abgehaltenen Workshop zum Bloggen in den Geschichtswissenschaften und im Archivwesen,[4] entschieden wir uns dafür, auf der Seite des Vereins einen wissenschaftlichen Gemeinschaftsblog zu starten.

Seit Dezember 2015 erscheinen nun in zweiwöchigem Abstand Beiträge zu Forschungsprojekten, Rezensionen aktueller Publikationen, Analysen gegenwärtiger Ereignisse aus geschlechterhistorischer Perspektive oder Vorstellungen von feministischen Projekten. Ergänzt durch unseren offenen Mailverteiler mit über 100 Abonnent*innen, einen Twitter-Account[5] sowie eine Facebook-Seite[6] ist in den letzten Jahren aus dem kleinen Verein fernetzt eine größere Community geworden, die Nachwuchswissenschaftler*innen in allen Stadien zusammenbringt und so auch Einbindung in akademische Strukturen leisten kann.

Ungleichheiten aufzeigen

Denn uns ist neben der inhaltlichen Beschäftigung vor allem eine Erkenntnis wichtig: Zwar sind wir Jungwissenschafter*innen auf viele Disziplinen verstreut, aber letztendlich sind wir doch mit gemeinsamen Frage- und Problemstellungen konfrontiert. Auch wir haben es mit den historisch gewachsenen, gesellschaftlich bedingten und in alltäglichen wie institutionellen Praxen immer wieder hergestellten Diskriminierungen und Ungleichheiten zu tun. Diskriminierungserfahrungen sind keine persönliche, sondern eine gesellschaftliche Angelegenheit, ebenso wie die spezifischen Problemstellungen der Frauen- und Geschlechtergeschichte und der sie betreibenden Forscher*innen. Auch wenn der Schluss nicht neu ist, gerät er doch im (akademischen) Arbeitsalltag zu oft ins Hintertreffen.

Wenn ihr neugierig geworden seid oder Lust bekommen habt, euch einzubringen: Wir freuen uns immer über neue Gesichter. Mitmachen könnt ihr auf verschiedene Weise: Teilnehmen an Veranstaltungen, mitgestalten oder eigene Forschungsthemen diskutieren; Mitarbeiten bei Vereinsaktivitäten oder in der Blogredaktion oder einfach selbst Blogbeiträge verfassen. fernetzt04_fuenfjahreUnser Verein kann auch einen Rahmen bieten, eure langgehegten Projektideen aus dem Bereich der Frauen- und Geschlechtergeschichte in die Tat umzusetzen. Wenn ihr unsere Tätigkeiten finanziell unterstützen wollt, könnt ihr aber auch (fördernde) Vereinsmitglieder werden. Nähere Infos findet ihr jedenfalls hier auf unserer Homepage unter „mitmachen“.

fernetzt lädt herzlich ein zum Jubiläum-Feiern bei unserem Sommerbeisl am Donnerstag, 23.6.2016 ab 19 Uhr im „Jetzt“ im 17. Bezirk.

Eine veränderte Version dieses Beitrags ist auch im Uni Wien-Blog[7] erschienen.

Anmerkungen

[1] https://matilda-european-master.univie.ac.at

[2] Ein Bild dieser Namensaktion gibt es hier: http://geschichte.univie.ac.at/de/bilder/namens-aktion-zum-denkmal-der-muse-reichts-anlaesslich-der-tagung-geschlecht-und-wissenscha-0

[3] Vgl. den Tagungsbericht: http://medienportal.univie.ac.at/uniview/wissenschaft-gesellschaft/detailansicht/artikel/undiszipliniert-diskutiert/?no_cache=1

[4] https://bioeg.hypotheses.org/202

[5] https://twitter.com/fernetzt

[6] https://www.facebook.com/fernetzt/

[7] http://blog.univie.ac.at/ein-plaedoyer-fuer-den-austausch-zwischen-jungen-wissenschafterinnen/

By |2018-05-24T20:16:06+01:0015. Juni 2016|ForschungsAlltag|2 Comments

2 Comments

  1. Elisa Heinrich 15. Juni 2016 at 17:25

    Herzliche Gratulation zum fünfjährigen Bestehen! Allzu oft wird so getan als seien die strukturellen Hierarchien, über die ihr schreibt, längst passé. Danke, dass ihr immer wieder darauf aufmerksam macht!

  2. […] Von der Vereinzelung zum Vereinsjubiläum – fünf Jahre fernetzt; von fernetzt (Link) […]

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