Wie präsent sind Frauen im Stadtbild von Wien? Ein Interview mit Aleksandra Kołodziejczyk und Karl Wratschko über ihren Film „Präsenz“, der alle nach Frauen benannten Verkehrsflächen in Wien dokumentiert und Fragen nach einer geschlechtergerechten Stadtplanung aufwirft.
Elisabeth Berger: Ihr habt 2020 den Jury Preis für Kurzfilme beim Filmfestival this human world für euren Film „Präsenz“ gewonnen. Um was geht es in dem Film?
Aleksandra Kołodziejczyk: Der Film „Präsenz“ zeigt alle Verkehrsflächen, die in Wien nach Frauen benannt sind. Jede Verkehrsfläche wird in einer Einstellung von jeweils einer Sekunde gezeigt und sie sind so angeordnet, dass ein Countdown Effekt entsteht. Der Film startet im 23. und endet im 1. Bezirk. Er gibt den Frauen, nach denen die Verkehrsflächen benannt sind, Präsenz und stellt zugleich die Frage nach der Wertigkeit dieser Präsenz.
Karl Wratschko: Da jede Einstellung nur jeweils eine Sekunde dauert, können die Zuseher*innen innerhalb von sechs Minuten alle nach Frauen benannten Verkehrsflächen von Wien sehen. Dabei birgt der Film auch Überraschungen. So gibt es viele Straßen, Gassen, Wege und Plätze, bei denen kaum jemand annimmt, dass sie nach Frauen benannt sind, wie etwa der Burjanplatz im 15. Bezirk, der nach der Politikerin Hildegard Burjan benannt ist. Lange Zeit wurden bei der Benennung von Verkehrsflächen nämlich nur die Nachnamen verwendet. Zugleich zeigt der Film auch sehr gut, wie die Anzahl der nach Frauen benannten Verkehrsflächen Richtung innerstädtischem Bereich abnimmt. Am Ende wird das Verhältnis zwischen nach Frauen und Männer benannten Verkehrsflächen aufgelöst. Wem 6 Minuten und rund 400 Einstellungen viel vorgekommen sind, wird am Ende überrascht.
Elisabeth Berger: Warum stellt der Film die Präsenz von Frauen im städtischen Raum auch in Frage?
Aleksandra Kołodziejczyk: Der Film hinterfragt nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der Präsenz von Frauen im öffentlichen Raum. Im Film wird sehr gut sichtbar, dass die meisten nach Frauen benannten Verkehrsflächen in Stadtentwicklungsgebieten, neu gebauten Wohnanlagen oder in äußeren Bezirken sind. So gibt es in der Seestadt im 22. Bezirk ein eigenes Viertel, wo alle Gassen, Straßen und Plätze nach Frauen benannt sind. Das zeigt auch das Bemühen der Stadt Wien, die Herstellung einer Geschlechterparität in der Stadtgestaltung voranzutreiben. So gibt es seit 2012 auch mehr Neubenennungen nach Frauen, als nach Männern. Während 2015 rund 8% der Verkehrsflächen nach Frauen benannt waren, waren es 2019, als wir den Film gedreht haben, bereits etwa 10%. Neubenennungen in den innerstädtischen Bezirken stellen jedoch eine Ausnahme dar, wie etwa der Johanna-Dohnal-Platz im 6. Bezirk und die Freda-Meissner-Blau-Promenade im 1. Bezirk .
Karl Wratschko: Das ist auch ein Grund, warum wir den Film gemacht haben. Die Statistik sagt, dass es jetzt mehr Namensgeberinnen als früher gibt. Der Film zeigt aber auch die Qualität dieser Verkehrsflächen: Es handelt sich zumeist um kleine Straßen, Gassen oder Wege, in Gegenden, die sehr wenig von Menschen frequentiert werden, meist nur von denen die dort wohnen. Damit ist die Sichtbarkeit nur beschränkt gegeben. Außerdem handelt es sich zum Großteil in Bezug auf die Kilometeranzahl um sehr kurze Verkehrsflächen mit wenigen Wohnadressen. Das führt auch nicht unbedingt zu mehr Präsenz. Periphere Lagen sind nicht unbedingt schlechter, aber was die Sichtbarkeit betrifft sind sie halt eindeutig benachteiligt.
Elisabeth Berger: Das ist mir auch aufgefallen, dass die Einstellungen oft Gegenden zeigen, die wenig städtisch wirken, und auf denen kaum Menschen zu sehen sind.
Karl Wratschko: Dabei haben wir darauf geachtet, dass es Bewegung in den Bildern gibt. In den Randgebieten der Stadt bewegen sich jedoch viele Menschen mit dem Auto fort. Zudem sind es generell keine sehr belebten Gegenden, da es häufig Wohngebiete sind, sodass man oft lang warten kann und niemand kommt vorbei. Zumindest in der Seestadt wird sich das wohl in absehbarer Zeit ändern. Das Schöne am Film ist ja unserer Meinung nach, dass er ein Portrait von ganz Wien zeigt und nicht nur die bekannten innerstädtischen Bezirke, die sonst meistens in Filmen vorkommen.
Elisabeth Berger: Was ist euch bei der Vergabe der Straßennamen generell aufgefallen?
Aleksandra Kołodziejczyk: Die ältesten Namensbenennungen nach Frauen gehen auf Adelige oder Angehörige des Herrscherhauses zurück, wie die Elisabethstraße im 1. oder die Strozzigasse im 8. Bezirk. Zudem finden sich unter den ältesten Namensgeberinnen auch sogenannte Wohltäterinnen, die Stiftungen gründeten. So ist etwa die Längenfeldgasse nach Josefine Haas von Längenfeld-Pfalzheim benannt, die zwei Stiftungen mit dem Zweck jungen Frauen eine Aussteuer zu finanzieren gründete, und eine Kinderheim errichtete. Ebenso finden sich, vor allem in bürgerlichen Bezirken, viele Schauspielerinnen oder Opernsängerinnen als Namensgeberinnen, wie etwa der Woltergasse im 13. Bezirk. Die ältesten Namensbenennung nach Frauen gehen im Wesentlich auf diese drei Gruppen zurück, wie wir bei unseren Recherchen gesehen haben.
Gegenwärtig ist bei der Wahl der Namensgeberinnen auffällig, dass es nicht mehr nur Frauen sind, die in Österreich gelebt haben. So sind die Namensgeberinnen in der Seestadt Aspern, deren Verkehrsflächen fast ausschließlich nach Frauen benannt werden, sehr international. Neben der Barbara-Prammer-Allee, benannt nach der ersten österreichischen Nationalratspräsidentin, befindet sich dort auch der Wangari-Maathai-Platz, benannt nach einer kenianischen Biologin und Umweltaktivisten, die als erste Afrikanerin den Friedensnobelpreis erhielt, und der Simone-de-Beauvoir-Platz.
Karl Wratschko: Bei unseren Recherchen konnten wir auch beobachten, dass manche Bezirke aktiver sind in der Benennung von Verkehrsflächen nach Frauen als andere. Es gibt Bezirke, die seit Jahrzehnten keine Verkehrsflächen nach Frauen benannt haben, wie etwa der 16. Bezirk. In anderen Bezirken gab es kurze Zeitperioden, wo innerhalb von wenigen Jahren sehr viele Straßenbenennungen nach Frauen vorgenommen wurden, dieser Trend danach aber wieder abgebrochen ist. Stadthistorisch wäre es interessant, sich die Kommissionen, ihre Mitglieder und Beschlüsse, genauer anzusehen. Unser Film stellt meiner Meinung nach ein gutes Beispiel für Synergieeffekte dar, die es zwischen Wissenschaft und Kunst geben kann: Unsere Basis für die Recherche bildete mit dem genderATlas ein wissenschaftliches Projekt. Wir haben darauf aufbauend eine künstlerische Arbeit gemacht, im Zuge dessen Fragen aufgeworfen wurden, die man sich nun wieder wissenschaftlich ansehen könnte.
Elisabeth Berger: Das führt mich auch zur Frage, wie seid ihr bei eurer Arbeit vorgegangen?
Aleksandra Kołodziejczyk: Die Grundlage bildete der „genderATlas“, ein Kooperationsprojekt der TU Wien, der Uni Wien und des ÖIR Projekthauses. Auf der Webseite findet sich eine Wienkarte, in der alle nach Frauen benannten Straßen in Wien eingezeichnet sind. Die Grafik spiegelt den Datenstand von 2015 wider, und beziffert den Anteil von Namensgeberinnen mit 8 %. Das heißt 2015 trugen 92% aller nach Personen benannten Verkehrsflächen in Wien die Namen von Männern. Zugleich verweist der „genderATtlas“ bereits auch auf die Unterschiede dieser Verkehrsflächen hin: Gemessen an der Länge waren damals nur 3 % der Straßenkilometer bzw. 109 Kilometer nach Frauen benannt. Für die anschließenden Recherchen war dann vor allem das Straßenlexikon der Stadt Wien hilfreich.
Karl Wratschko: Wir haben auch jene Straßen aufgenommen, die nach Frauen und Männern benannt sind, wie beispielsweise die Zinckgasse, um auch diese Namensgeberinnen sichtbar zu machen.
Elisabeth Berger: Der Film ist auf 16mm Schmalfilm gedreht und in Schwarz-Weiß. Für mich war das eine interessante Erfahrung, einerseits war es ein gewohntes Seherlebnis, weil es mich an die Wochenschauen der 1950er Jahre erinnerte, andererseits hatte ich ein widersprüchliches Gefühl, weil die Aufnahmen die Gegenwart zeigen. Was war die Überlegung hinter der ästhetischen Konzeption?
Aleksandra Kołodziejczyk: Der Schwarz-Weiß-Film verbildlicht, dass wir noch immer in der Vergangenheit stecken. Es gibt Bemühungen und Aktivitäten der Stadt Wien, das Geschlechterverhältnis zu verbessern und Parität herzustellen, gleichzeitig ist das Verhältnis jedoch noch immer 9:1 zugunsten von männlichen Namensgebern. Das heißt, dass man immer noch nicht so weit ist, wie man sein möchte und könnte, und das wollten wir mit der Ästhetik der Darstellung auch unterstreichen.
Karl Wratschko: Wir haben uns auch für einen Schwarz-Weiß-Film entschieden, weil damit die Architektur unserer Meinung nach besser zur Geltung kommt. Die Wertigkeit der Straßen kann damit leichter innerhalb einer Sekunde wahrgenommen werden und man sieht besser, dass sehr viele nach Frauen benannte Verkehrsflächen kurze Wege und keine Straßen sind. Die Materialität des Films dient aber nicht primär der Ästhetik, sondern soll die inhaltliche Aussage des Films verstärken.
Elisabeth Berger: Welche Reaktionen habt ihr auf den Film erhalten?
Karl Wratschko: Es sind viele überrascht, dass die Diskrepanz zwischen nach Frauen und nach Männern benannten Verkehrsflächen so groß ist. Straßennamen sind präsent, aber ähnlich wie bei Statuen, geht man an ihnen vorbei. Sie werden wenig beachtet, obwohl sie immer da sind. Außerhalb von Wien war die Reaktion oft, dass sich die Personen fragten, wie das Geschlechterverhältnis in der Namensgebung in ihrer Stadt ist und das dann oft auch gleich recherchiert haben. Wie sich zeigt, verweist der Film anhand von Wien exemplarisch auf eine Problematik, die es in vielen Städten gibt.
Aleksandra Kołodziejczyk: Personen, die in Wien wohnen, sind oft auch überrascht, welche Straßen nach Frauen benannt sind, wie etwa im Falle der Brüßlgasse im 16. Bezirk, weil früher keine Vornamen bei der Namensgebung ergänzt wurden. Viele Personen schauen auch, welche Straßen es in ihrem Bezirk gibt, die nach Frauen benannt sind. Das Schöne ist, dass der Film mit der Lebensrealität jener, die in Wien wohnen, direkt verbunden ist.
Karl Wratschko: Man könnte meinen, dass Straßennamen nicht so wichtig sind, und es bedeutsamere gesellschaftliche Themen gäbe. Jedoch stehen sie plakativ für die Welt, in der wir leben, und sind zugleich Symbol für Ungleichheiten, die es in vielen Bereichen gab und weiterhin gibt. Das wird beispielsweise auch bei der aktuellen Ausstellung Die Frauen der Wiener Werkstätte sehr offensichtlich: Frauen waren in der Wiener Werkstätte federführend beteiligt, erhielten aber bisher keine Öffentlichkeit. Damit Geschlechtergerechtigkeit verwirklicht wird, muss an vielen kleinen Baustellen gleichzeitig gearbeitet werden. Die Präsenz von Frauen im öffentlichen Raum und in der Stadtgestaltung ist eine davon.
Elisabeth Berger: Damit stellt sich die Frage, wie man die Präsenz von Frauen im öffentlichen Raum erhöhen könnte. Derzeit ist die Debatte über Umbenennungen von Verkehrsflächen mit historisch belasteten Namen wieder aktuell – was wären eurer Ansicht nach mögliche Lösungsansätze?
Karl Wratschko: Ich bin nicht der Meinung, dass man die Stadt von ihrer Geschichte „reinigen“ sollte. Die Geschichte ist Teil einer Stadt und es kann nicht das Ziel sein, problematische Aspekte einfach zu entfernen. Die problematischen Aspekte der Geschichte sollten thematisiert und kontextualisiert werden, sodass sie auch Teil des kollektiven Bewusstseins bleiben. Um Frauen im öffentlichen Raum mehr Präsenz zu geben, auch in innerstädtischen Lagen, wäre die Teilung von Straßen eine mögliche Lösung. Viele Straßen sind sehr lang und es wäre möglich, sie in Abschnitte zu teilen. Diese Praxis gab es bisher schon, jedoch nicht zugunsten von nach Frauen benannten Straßen.
Eine zweite Lösung bietet die Möglichkeit, neue Plätze zu schaffen, die prestigereich und sichtbar sind, und die man nach Frauen benennen könnte. Das wird auch bereits in einigen Bezirken gemacht, wie etwa 2020 im Fall des Trude-Waehner-Platz im 8. Bezirk. Das ist auch nicht ungewöhnlich. Es werden immer Plätze geschaffen, die auch in sehr prominenter Lage sein können, wie etwa der Helmut-Zilk-Platz im 1. Bezirk. So könnte zum Beispiel ein Platz vor dem Konzerthaus geschaffen werden, und nach einer Komponistin benannt werden.
Eine dritte Möglichkeit wäre, vielleicht doch Straßen umzubenennen.
Aleksandra Kołodziejczyk: Ein Potential für Umbenennungen böten Verkehrsflächen, deren Namensgeber*innen keine Personen sind. Ich meine damit nicht historisch tradierte Namen, wie etwa der Hohe Markt oder die Ungargasse, die mit der lokalen Geschichte stark verbunden sind, sondern beispielsweise die Eichenstraße im 12. Bezirk, die nach zwei Eichen benannt ist, die dort einmal standen. Diese Straßen standen bei mir zugleich auch am Anfang der Beschäftigung mit dem Thema. Mein Interesse wurde durch einen Stadtsparziergang in Graz geweckt, wo die Organisatorin erläuterte, dass es in Graz mehr Straßen gibt, die nach Blumen und Pflanzen benannt sind, als nach Frauen. Da wurde mir erstmals die große Diskrepanz bewusst.
Vielleicht sollte auch einmal angedacht werden, Verkehrsflächen, deren männliche Namensgeber sich nicht mit großen Leistungen hervorgetan haben, umzubenennen, und als Namenspatinnen Frauen zu nehmen, die einen großen gesellschaftlichen Beitrag leisteten. Ich glaube zwar nicht, dass das in näherer Zukunft passieren wird, aber denkbar wäre es.
Karl Wratschko: In der Vergangenheit wurden öffentliche Flächen immer wieder umbenannt, gerade im ausgehenden 19. Jahrhundert. Das ist gemeinsam mit dem Wachstum der Städte in dieser Zeit auch der Grund, warum viele Namen von Verkehrsflächen im 19. Jahrhundert verhaftet sind, und die Namensgebungen die Interessen der bürgerlichen Welt widerspiegeln. Dabei stellt sich die Frage, ob es nicht auch problematisch ist, wenn ein kurzer Zeitraum der Geschichte eine ganze Stadt in einem so starken Ausmaß prägt.
Elisabeth Berger: Wir kommen auch schon zu meiner letzten Frage – plant ihr noch weitere Kurzfilme zu dem Thema?
Aleksandra Kołodziejczyk: Wir möchten eine Trilogie machen. Voriges Jahr haben wir bereits in Graz gedreht, wo das Geschlechterverhältnis bei der Benennung von Verkehrsflächen 15:1 zugunsten von Männern ist, also noch schlechter als in Wien. Jeder Film wird künstlerisch ein wenig anders umgesetzt. Das ist uns wichtig. Den dritten Film planen wir in Westösterreich zu drehen.
Karl Wratschko: Die Verteilung der Verkehrsflächen in Graz ist aber sehr ähnlich wie in Wien. Nach Frauen benannte Straßen, Gassen, Plätze und Wege befinden sich wieder vor allem an den städtischen Randlagen, wenngleich es auch sehr prominente Straßen gibt, wie die Annenstraße und die Elisabethstraße. Es gibt grundsätzlich wenig Neubenennungen, aber es gäbe schon Möglichkeiten, nachdem sehr viel gebaut wird, wie etwa im Neubaugebiet Reininghausgründe. In Graz ist übrigens die letzte gezeigte Straße, wie in Wien, die Maria-Theresia-Straße.
Im Namen von fernetzt, vielen Dank für das Interview! Auf die Erstaufführung des Grazer Films freue ich mich schon sehr, wie ich auch schon sehr gespannt bin, ob auch im dritten Teil der Trilogie eine Maria-Theresia-Straße das Ende bilden wird!
Aleksandra Kołodziejczyk & Karl Wratschko
Eine Rezension des Kurzfilmes „1|15“ über die nach Frauen benannten Verkehrsflächen in Graz findet ihr auf dem steirischen Internetportal für Architektur und Lebensraum: Hedwig, Paula & Co.
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