Judenfeindschaft unter jungen Frauen?

Foto: Bernadette Edtmaier

Wenn gegenwärtige Judenfeindschaft thematisiert wird, dann ist vielfach von jungen Männern die Rede, nicht aber von jungen Frauen. Bedeutet dies, dass junge Frauen nicht antisemitisch sind?

Ein Beitrag zur Sichtbarkeit und Sichtbarmachung eines gesellschaftlichen Problems.

Antisemitismus  – ein „männliches Phänomen“?

Wirft man einen Blick in die Forschungsliteratur zum aktuellen Antisemitismus, so bekommt man den Eindruck, antisemitische Einstellungen wären vor allem ein unter Männern auftretendes Problem. Gegenwärtige Judenfeindschaft unter Frauen hingegen findet kaum gesondert Erwähnung. Fokussiert wird in der gegenwärtigen Forschung vorwiegend auf antisemitische Sprach- und Tathandlungen, die entweder von jungen Männern im rechtsradikalen Milieu getätigt werden[1] oder von muslimischen Männern im Kontext pro-palästinensischer Aktivitäten.[2]

Andere gesellschaftliche Gruppen, wie etwa Frauen und deren Einstellungen, scheinen hingegen weniger Beachtung zu finden. Begründet wird dies beispielsweise damit, dass Frauen kaum öffentlich sichtbare antisemitische Tathandlungen begehen würden.[3] Somit, so könnte man schlussfolgern, sei die gesonderte Erhebung ihrer Einstellungen weniger relevant.

Tatsächlich scheinen antisemitische Einstellungen unter jungen Männern häufiger sichtbar zu sein als unter Frauen. Besonders augenscheinlich wurde dies bislang anhand einer Reihe islamistischer Anschläge gegen europäische Juden, Jüdinnen und jüdische Einrichtungen, die von muslimischen Männern verübt wurden.[4]

Doch können wir aus einer fehlenden Sichtbarkeit antisemitischer Einstellungen unter Frauen schließen, dass sie gleichzeitig auch seltener antisemitisch eingestellt sind? Oder müssen andere Strategien gefunden werden, um etwaige judenfeindliche Haltungen aufzudecken? Mit diesen Fragen berühren wir ein großes Forschungsdesiderat. Denn bislang wurde auf antisemitische Einstellungen unter Frauen nur unzulänglich eingegangen. Einen kleinen Beitrag hierfür sollte die im Folgenden beschriebe Untersuchung leisten, in der auch die Frage nach geeigneten Methoden zur Sichtbarmachung thematisiert wird.

Wie können antisemitische Einstellungen unter Frauen sichtbar gemacht werden? – ein Versuch

Im Frühjahr und Sommer 2016 führte ich eine qualitativ-explorative Studie mittels Spontaninterviews und einer schriftlichen Befragung im Raum Oberösterreich und Salzburg durch. Befragt wurden Jugendliche im Alter von 13 bis 24 Jahren. Es handelt sich um keine Zufallsstichprobe.

Diese Aussage stammt von einer 18-jährigen Frau, die an der schriftlichen Befragung teilnahm. Antisemitische Antworten wie diese kamen sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen nur in Ausnahmefällen vor. Foto: Bernadette Edtmaier

Die insgesamt 35 Spontaninterviews führte ich meist mit zwei befreundeten Jugendlichen gleichzeitig und auf öffentlichen Plätzen durch. Ziel war es, herauszufinden, wie sich Jugendliche äußern, die spontan zu ihren Assoziationen über Juden und Jüdinnen befragt werden. Dabei war auffallend, dass Mädchen im Durchschnitt etwas vorsichtiger, zurückhaltender antworteten als junge Männer und öfter betonten, unpolitisch zu sein. Die befragten Mädchen antworteten meist „normale Menschen“, „einfach eine Religion“ oder „ich denke gleich an Hitler“. Keine der befragten weiblichen Jugendlichen äußerte sich in einer Weise, die als offen oder latent antisemitisch gelten könnte. Unter den Antworten junger Männer hingegen fanden sich vereinzelt antisemitische, wie etwa die Unterstellung, Juden würden die Welt kontrollieren oder viel Geld besitzen.

Ein anderer Eindruck ergibt sich aus den Ergebnissen der anonymen schriftlichen Befragung, an der 266 Jugendliche teilnahmen. Dabei wurden Jugendliche mittels offener und geschlossener Fragen zu deren Bildern über Juden und Jüdinnen befragt. Nur wenige Jugendliche formulierten klar oder latent antisemitische Aussagen oder stimmten jüdischen Stereotypen zu. Anders als bei den nicht-anonymen Spontaninterviews äußerten sich aber in dieser Untersuchung etwa gleich viele Mädchen wie Jungen emotional-antisemitisch (z.B. „Ich hasse sie“), provokant-antisemitisch (z.B. „Heil Hitler, Juden einheizen, Lagerfeuer, schön warm“) oder stimmten klassischen oder israelbezogenen Stereotypen zu (z.B. „Juden behandeln die Palästinenser so, wie damals die Nazis die Juden – Ja, sogar schlimmer“). Insgesamt fielen 36 der 266 Jugendlichen durch stereotype oder antisemitische Aussagen auf.

Wie könnte man diese unterschiedlichen Ergebnisse der beiden Erhebungen erklären? Sind sie einzig Resultat meiner subjektiven Entscheidungen bezüglich Ort und Zeit der Befragungen und Folge der Auswahl der Jugendlichen? Oder lag es an den Erhebungsmethoden? Gerade bei heiklen Fragen, wie jene nach Bildern von Juden und Jüdinnen, kommt es oft zu sozial erwünschten – und damit unehrlichen – Antworten. Eine anonyme Befragungssituation kann hier die Chance auf ehrliche Antworten erhöhen.[5]

Während der Spontaninterviews war keine Anonymität gegeben, da ich als Interviewerin, sowie die zuhörenden Freunde bzw. Freundinnen anwesend waren. Bei den schriftlichen Befragungen hingegen war die Erhebungssituation weitaus anonymer. Begünstigte die Anonymität ein authentisches Antwortverhalten unter Frauen und sind daher die Ergebnisse der schriftlichen Befragung glaubwürdiger? Neigen junge Mädchen dazu, in Interviewsituationen – und damit bei direktem Kontakt zu anderen – Geschlechterrollen eher einzuhalten?

Geschlechtsspezifische Unterschiede – ein Forschungsdesiderat

Geschlechtsspezifische Unterschiede wurden in Studien zum aktuellen Antisemitismus bislang unzureichend erforscht und zeichnen ein uneinheitliches Bild. Verschiedene qualitative und quantitative Studien weisen darauf hin, dass antisemitische Einstellungen unter (jungen) Frauen geringer oder anders ausgeprägt seien.[6] Auch sie kommen zum Schluss, dass Mädchen nur selten durch aggressiv antisemitisches – und damit sichtbares – Verhalten auffallen würden.

Erklärt wird dieser Unterschied in der Regel mit den Effekten einer geschlechtsspezifischen Erziehung, durch die gerade Jungen lernten, sich für Politik zu interessieren und eine eigene, klare Meinung zu äußern. Mädchen hingegen seien diesbezüglich durchschnittlich eher zurückhaltender sozialisiert und würden daher seltener eine klare Meinung zu (gesellschafts-)politischen Themen äußern, oder hierfür andere Strategien wählen – eine Tendenz, die sich auch bei meinen Spontaninterviews abzeichnete. Zudem werden von Mädchen eher gewaltfreie Konfliktlösestrategien erwartet.[7]

Diese Aussage stammt von einem 16-jährigen Mädchen, die an der schriftlichen Befragung teilnahm. Foto: Bernadette Edtmaier

Die fehlende Sichtbarkeit sollte aber nicht zum voreiligen Schluss verleiten, Mädchen seien weniger oder seltener antisemitisch eingestellt als Jungen. Vielmehr sollten junge Frauen mittels geeigneter Methoden und gendersensibler Forschungsdesigns genauer in den Blick genommen werden, um mehr über deren Gründe und Strategien, antisemitische Einstellungen zu kommunizieren, herauszufinden.

Wie auch mein Versuch nahelegt, können sich hierfür anonyme Befragungssituationen mit geschlechtersensiblen Fragen oder qualitative Erhebungen, die der Alltagskommunikation weiblicher Jugendlicher nahekommen, als sinnvoll erweisen. Wissenschaftlich gewonnene Erkenntnisse wiederum hätten das Potential, wertvolle Anregungen für eine geschlechtssensible Pädagogik gegen Antisemitismus zu bilden.

Bernadette Edtmaier

Anmerkungen

[1] Andreas Peham / Elke Rajal, Erziehung wozu? Holocaust und Rechtsextremismus in der Schule, in: Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (Hg.), Jahrbuch 2010, Wien 2010, 38-65; hier: 44.

[2] Um zwei Beispiele zu nennen, die ausschließlich auf muslimische Männer fokussieren: Günter Jikeli, Antisemitismus und Diskriminierungswahrnehmungen junger Muslime in Europa. Ergebnisse einer Studie unter jungen muslimischen Männern, Essen 2012. Sowie: Anke Schu, Antisemitismus und Biographie. Fallstudien männlicher muslimisch-migrantischer Jugendlicher in Deutschland als Basis kritischer Jugendarbeit, Weinheim / Basel 2016.

[3] Jikeli (2012), 60.

[4] Dazu zählen etwa (1) der islamistische Anschlag auf die Kopenhagener Synagoge am 14./15.2.2015, bei der ein Islamist einen Juden erschoss, (2) die Geiselnahme an der Porte de Vincennes am 9.1.2015, bei der ein IS-Sympathisant vier Juden in einem koscheren Supermarkt ermordete, oder (3) der Anschlag auf eine jüdische Schule in Toulouse am 19.3.2012, bei dem ein Islamist vier jüdische Kinder und einen Rabbi tötete.

[5] Simonson, Julia, Klassenzimmerbefragungen von Kindern und Jugendlichen. Praktikabilität, Potentiale und Probleme einer Methode, in: Martin Weichbold / Johann Bacher / Christof Wolf (Hg.), Umfrageforschung. Herausforderungen und Grenzen, Wiesbaden 2009, 63-84; hier: 79.

[6] Heike Radvan, Antisemitismus und Geschlecht. Überlegungen einer geschlechterreflektierenden Prävention, in: Stefanie Schüler-Springorum (Hg.), Jahrbuch für Antisemitismusforschung 22, 2013 Berlin, 123-142; hier: 129. Sowie: Barbara Schäuble, „Anders als wir“. Differenzkonstruktionen und Alltagsantisemitismus unter Jugendlichen. Anregungen für die politische Bildung, Berlin 2012, 29-31.

[7] Gabriel Fréville / Susanne Harms / Serhat Karakayali, „Antisemitismus – ein Problem unter vielen“. Ergebnisse einer Befragung in Jugendclubs und Migrant/innen-Organisationen, in: Wolfram Stender / Guido Follert / Mihri Özdogan (Hg.), Konstellationen des Antisemitismus. Antisemitismusforschung und sozialpädagogische Praxis, Wiesbaden 2010, 185-198; hier: 190-191. Sowie: Radvan (2013), 128.

 

By |2018-11-24T03:31:35+01:0015. März 2017|Gesellschaft&Geschichte|0 Comments

Bernadette Edtmaier studierte Geschichte und Bildnerische Erziehung in Salzburg. Gegenwärtig schreibt sie an einer Dissertation zu (antisemitischen) Bildern über Juden und Jüdinnen unter Jugendlichen in Österreich. Mit dem Marietta Blau Stipendium der OeAD-GmbH ist sie gegenwärtig auf einem Forschungsaufenthalt am NIOD Instituut voor Oorlogs-, Holocaust- en Genocidestudies in Amsterdam.

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