Frauenbewegter Geschichte auf der Spur? Im STICHWORT forschen

Der Lesesaal des STICHWORT (Quelle: STICHWORT)

Der Lesesaal des STICHWORT. (Quelle: STICHWORT)

STICHWORT, das Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung, entstand aus der Neuen Frauenbewegung in Österreich und ist nach wie vor Ort der Bewegung und der Bewegungsgeschichte. Als einziges autonomes Frauen*archiv in Österreich bietet STICHWORT FrauenLesbenTrans eine einmalige Sammlung an Beständen zur Neuen Frauenbewegung.

Der Kontext

STICHWORT ist inzwischen das einzige autonome Frauenarchiv in Österreich. Verortet werden muss es aber im Kontext der feministischen Bewegungsarchive. In den Neuen Frauenbewegung(en) regte sich schnell ein Interesse an der Geschichte und dem Leben von Frauen. Denn die Auseinandersetzung mit geteilten Problemen, Lebenslagen und alltäglichen Ungleichheiten und Diskriminierungen machte nur allzu deutlich, wie sehr Quellen von und über Frauen fehlten. Beispielweise waren die Quellen der Alten Frauenbewegungen wenig bewahrt und die Geschichte der Bewegungen wenig untersucht worden. Das Ignorieren und die Missachtung von Frauen und ihrer Geschichte seitens der männlich geprägten und dominierten Wissenschaften machte es klar, dass Frauen ihre Geschichte selbst schreiben und dokumentieren müssen. Nur so können sie die Themen definieren, die sie selbst als wichtig erachten, und sich versichern, dass die eigene Perspektive sichtbar wird und im Mittelpunkt steht.[1]

Werbung des Archivs der Neuen Frauenbewegung (heute: STICHWORT) In: AUF. Eine Frauenzeitschrift, Heft 64, Juni 1989, S. 40 Sign. Z 2.

Werbung des Archivs der Neuen Frauenbewegung (heute: STICHWORT)
In: AUF. Eine Frauenzeitschrift, Heft 64, Juni 1989, S. 40
Sign. Z 2. (Quelle: STICHWORT)

Bereits in den 1970er Jahren entstanden in Deutschland im Kontext der Neuen Frauenbewegung die ersten Frauenarchive und -bibliotheken im deutschsprachigen Raum. In Österreich folgten die erste Frauenbibliothek auf Initiative des AEP (Arbeitskreis Emanzipation und Partnerschaft) in Innsbruck im Jahr 1979 sowie 1983 STICHWORT mit dem ersten Frauenarchiv. (Die STICHWORT-Bibliothek entstand bereits 1981 im Uni-Frauenzentrum.[2]) Im Laufe der Jahre wurden weitere Frauenarchive und -bibliotheken (sowie auch Lesbenarchive und -bibliotheken) eingerichtet – in Österreich gibt es heute noch die Bibliotheken AEP/Innsbruck und Frauensolidarität im C3/Wien, die Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Uni Wien sowie andere frauenspezifische Informations- und Dokumentationszentren. Diese sind im FRIDA Verein zur Förderung und Vernetzung frauenspezifischer Informations- und Dokumentationseinrichtungen in Österreich vernetzt.

Ab 1983 trafen sich die Mitarbeiterinnen deutschsprachiger Frauen- und Lesbenarchive und -bibliotheken regelmäßig – aus diesen Treffen (lange Zeit zweimal jährlich, jetzt nur mehr einmal jährlich) ging 1994 „i.d.a. Dachverband der deutschsprachigen Lesben-/Frauenarchive, -bibliotheken und -dokumentationsstellen“ hervor.[3] i.d.a. besteht heute aus 38 Bibliotheken und Archiven (u.a. STICHWORT, der Bibliothek Frauensolidarität und der Sammlung Frauennachlässe), die seit letztem Herbst zusätzlich durch den gemeinsamen Bestandskatalog META verbunden sind. i.d.a. arbeitet aktuell an der Entwicklung eines „Digitalen Deutschen Frauenarchivs„.[4] STICHWORT ist nicht nur Mitglied bei i.d.a., sondern mit STICHWORT-Geschäftsführerin Margit Hauser auch im Vorstand vertreten. Durch die Vernetzung stärken sich die Frauenarchive gegenseitig und machen gemeinsame Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit.

Die Geschichte

STICHWORT wurde 1983 als Archiv der Neuen Frauenbewegung gegründet. Die Sektion Archiv ging aus dem Verein „Frauenforschung und weiblicher Lebenszusammenhang“ hervor. Das Archiv wurde wie andere Frauenarchive als lebendiger Teil einer aktiven Bewegung konzipiert – Flugblätter, Protokolle, Artikel und Plakate wurden gesammelt und sollten gleich die nächste Aktion inspirieren, als Vorlage für das nächste Flugblatt dienen oder an die eigene Geschichte erinnern. Die Archivfrauen beschrieben die Beweggründe fürs Archiv so:

„Die Selbstverständlichkeit liegt nahe: Leidenschaft für ein Frauenbewegungsarchiv, für die Dokumente unseres Aufbruchs, für ein Begreifbarmachen unserer (Miß)Erfolge, unserer Vorläufigkeiten, Seitenwege, Vielfalt. Die Notwendigkeit, dennoch zu erklären, ist spürbar: daß Frauenbewegungsgeschichte gemacht und gelebt wurde in den letzten Jahren und daß jedes Flugblatt, jedes Plakat, jede Zeitschrift, jedes Gruppenprotokoll, jede Seminararbeit das Begreifen ermöglicht.“[5]

Hochschularbeiten und andere graue Literatur (Veröffentlichungen, die nicht im Verlagswesen erschienen sind) sowie Bücher wurden ebenso gesammelt und bildeten so eine Grundlage für feministische Forschung. Denn feministische Themen waren bis dato kaum in den universitären (oder sonstigen) Bibliotheken präsent. Schriften und Material von und für die Bewegung – all das stand und steht Feministinnen* zur Verfügung.

Lange Zeit war das Archiv in der Berggasse beheimatet. Heute als UFO (Uni-FLIT*-Ort) bekannt, beherbergte das damalige UFZ (Uni-Frauenzentrum) im Laufe der Zeit mehrere feministische Projekte, und schließlich füllte das Archiv die bescheidenen Räumlichkeiten bis zum letzten Zentimeter. Es folgten Umzüge in die Diefenbachgasse und später in die Gusshausstraße, wo sich STICHWORT heute befindet. Die Räumlichkeiten im STICHWORT beinhalten ein Depot für die bestmögliche Lagerung der Bestände sowie einen geräumigen Lesesaal, wo Besucherinnen* lesen oder auch Medien anschauen bzw. anhören können. Der Lesesaal wird auch durch Veranstaltungen bespielt und belebt, beispielsweise als Belinda Kazeem 2015 ihr Dissertationsprojekt zur Pädagogik von bell hooks vorstellte.[6]

Nicht nur der Ort, sondern auch der Name änderte sich. 1990 kam die Umbenennung von „Archiv der Neuen Frauenbewegung“ in „STICHWORT, Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung“,[7] um im Rahmen der Debatten zur Sichtbarkeit von Lesben innerhalb der Frauenbewegung klar Stellung zu beziehen. Lesbisches Leben und Lesbenbewegung haben Platz bei STICHWORT: Neben Büchern und Periodika (teilweise sonst nicht in Österreich auffindbar) gibt es auch Materialien zu österreichischen Lesbengruppen sowie seit kurzem Nachlässe lesbischer Aktivistinnen (nämlich Helga Pankratz und Ines Rieder).

Die Bestände

STICHWORT entspricht dem klassischen Bild eines Archivs genauso wenig wie andere Frauen- und Lesbenarchive. Es existiert als Mischform von Archiv und Bibliothek. Zu den Bibliotheksbeständen zählen Bücher, graue Literatur, feministische Fachzeitschriften und Nachschlagewerke. Die Archivbestände umfassen die Sammlungen, Quellen zu österreichischen FrauenLesbengruppen ab den 1970er Jahren, Zeitschriften, Zeitungsausschnitte, Plakate, Fotos, Videos, Audiomaterial, Transparente und Objekte (Realien).

Die Bibliothek hat derzeit (Stand: August 2016) zirka 16.400 Titel. Thematische Schwerpunkte der Bibliothek sind Frauen- und Geschlechterforschung, Lesbenforschung und Queer Studies, aber auch Belletristik von Frauen* ist vorhanden.[8] Die Sammlung an grauer Literatur, typisch für feministische Bibliotheken, birgt viele Schätze, die sonst nur schwer zugänglich oder gar nicht auffindbar sind. Beispiele sind frühe feministische Seminararbeiten, internationale Broschüren, Dokumentationen und Ähnliches. Darüber hinaus werden die einzelnen Artikel in feministischen Fachzeitschriften in der STICHWORT-Datenbank erfasst und können so besser gefunden werden. STICHWORT ist der ideale Anfangsort für feministische Recherchen.

Die Sammlung an feministischen Zeitschriften umfasst über 900 Titel aus aller Welt, aber der Schwerpunkt liegt auf österreichischen Frauen- und Lesbenzeitschriften. Diese sind bis 1990 auf Artikelebene erfasst und können in der STICHWORT-Datenbank gesucht werden. Manche Ausgaben sind die einzigen (bekannten) Exemplare in Österreich oder im deutschsprachigen Raum. Sie können vor Ort gelesen oder kopiert werden.

Auch diese Buttons finden sich im STICHWORT. (Quelle: STICHWORT)

Auch diese Buttons finden sich im STICHWORT. (Quelle: STICHWORT)

Die Archivsammlungen sind vielfältig und dokumentieren verschiedene Aspekte von Frauenbewegungen und Frauen- und Lesbenkultur. Wie schon 1985 formuliert soll „die Konfrontation mit den Wünschen, Hoffnungen und Strategien der Vergangenheit […] eine Anregung zur Reflexion unserer Geschichte und einen Anstoß zu einer immer wieder notwendigen politischen Diskussion unseres Standortes, unserer Inhalte und Strategien“ geben.[9]

Die Quellensammlung zu österreichischen FrauenLesbengruppen umfasst über 900 autonome Gruppen ab den 1970er Jahren. Der Begriff „autonom“ ist hier ausschlaggebend: es geht um Frauenselbstorganisation (ohne Cis-Männer) jenseits von religiösen, staatlichen oder parteilichen Institutionen. Trotzdem wird der Autonomiebegriff relativ weit gefasst und bei der Entscheidung, Gruppen zu dokumentieren, ist STICHWORT „eher einschließend als abgrenzend und [hält] es für zentral, daß ein Archiv eine möglichst große Vielfalt und Breite der Bewegungsaktivitäten repräsentiert.“[10] Die Sammlung beinhaltet öffentliches und internes Material wie Flugblätter, Stellungnahmen, Protokolle und mehr von Gruppen wie die Aktion Unabhängiger Frauen, die Lesbengruppen der Homosexuellen-Initiativen (aus verschiedenen Städten bzw. Bundesländern), kurzfristige Aktionsgruppen, Vernetzungen wie Schlaflose Nächte, Migrantinnen* Selbstorganisation wie Femigra und vieles mehr. Die Dokumentation der FrauenLesbengruppen (sowie F*L*I*T* Gruppen) wird laufend ergänzt und erweitert. STICHWORT freut sich sehr über das Zuschicken vom Material – auch dein Stück Frauenbewegung kann ins Archiv kommen und sollte dokumentiert werden!

Die Plakatsammlung verfügt derzeit über 2000 Plakate. Diese können in der STICHWORT-Datenbank gesucht werden und inzwischen sind digitale Abbildungen in der Datenbank verlinkt. (Die Transparentsammlung ist ähnlich erfasst.) Die Plakate werden immer wieder als Ausstellungsstücke angefragt und bieten u.a. Einblicke in die Ästhetik der Frauenbewegungen. Die Fotosammlung umfasst über 1000 Serien und besteht aus Positiven, Negativen, Dias und Digitalfotos. Die Fotos dokumentieren Aktionen, Treffen und Alltag der Frauenbewegungen in Österreich – nicht nur in Wien, sondern inzwischen sind auch Graz und Vorarlberg in der Fotosammlung gut vertreten.

Weiters gibt es Audio- und Videodokumente. Bei der Audiosammlung sind Interviews mit Aktivistinnen*, Mitschnitte von Veranstaltungen oder Radiosendungen sowie feministische Musik auf verschiedenen Tonträgern vorhanden. Die Videosammlung enthält VHS und DVDs von feministischen und lesbischen Filmen, die ausgeborgt oder vor Ort angeschaut werden können, sowie Dokumentationen von Veranstaltungen oder Demonstrationen. Objekte wie Buttons, Kugelschreiber, Shirts mit Frauenzeichen oder auch die Schneekugel mit Frauenzeichen gibt es im STICHWORT. Es gibt also eine breite Palette an Zeugnissen frauenbewegter Aktivitäten im STICHWORT zu entdecken.

Zweimal jährlich gibt das Archiv den STICHWORT Newsletter heraus. Im Newsletter werden Bestände und Neuzugänge vorgestellt, Einblicke in den historischen Kontext eröffnet, Veranstaltungen angekündigt und vieles mehr. Der STICHWORT-Newsletter wird zweimal jährlich herausgegeben. Die Bestellung erfolgt über die Website.

Nutzung

Die Recherche in den STICHWORT-Räumlichkeiten ist sehr zu empfehlen. Nur die Bibliotheksbestände sind online im Katalog durchsuchbar – alle anderen Sammlungen müssen vor Ort in der Datenbank abgefragt werden. Dabei sind viele spannende Infos in der Datenbank vorhanden und das STICHWORT-Team hilft bei der Recherche gerne weiter. Der Lesesaal ist schön und gemütlich und lädt zum Lesen und Schmökern ein. Bestände aus der Bibliothek können ausgeliehen werden, ansonsten gilt die Präsenznutzung der Bestände.

STICHWORT entstand aus der autonomen Frauen- und Lesbenbewegung und ist nach wie vor ein Ort für Frauen* (Transgender sind willkommen). Der Rechercheservice Feministischer Informationsdienst bietet die Erstellung von Literaturlisten aus dem eigenen Bestand und aus externer Recherche, Kopienversand und weiterführende Informationen an und kann von allen Interessierten genutzt werden. Weitere Infos zur Nutzung sind auf der STICHWORT Website zu finden.

STICHWORT Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung
Gusshausstraße 20/1A+B
1040 Wien
Öffnungszeiten:
Mo-Di 9-14 Uhr
Do 14-19 Uhr
www.stichwort.or.at
office@stichwort.or.at

Elizabeth Kata

Anmerkungen

[1] Wer sich für Frauen- und Lesbenarchive bzw. für Archive Neuer Sozialer Bewegungen und ihre Entstehung und ihren Kontext näher interessiert, sollte das Buch „Bewegung bewahren“ lesen. Bacia, Jürgen; Wenzel, Cornelia (2013): Bewegung bewahren. Freie Archive und die Geschichte von unten. Berlin: Archiv der Jugendkulturen.

[2] STICHWORT (Hg.) (1990): 10 Jahre Berggasse 5/24. Wien: Eigenverlag. S. 16.

[3] i.d.a. Dachverband deutschsprachiger Lesben-/Frauenarchive, -bibliotheken und -dokumentationsstellen (Hg.) (2016): Geschichte. http://www.ida-dachverband.de/ueber-ida/geschichte/ [Zugriff: 14.08.2016].

[4] i.d.a. Dachverband deutschsprachiger Lesben-/Frauenarchive, -bibliotheken und -dokumentationsstellen (Hg.) (2016): Digitales Deutsches Frauenarchiv startet: eine einmalige Informationsquelle zur Frauenbewegung. 6.7.2016. http://www.ida-dachverband.de/alle-news/aktuell/article/digitales-deutsches-frauenarchiv-startet-eine-einmalige-informationsquelle-zur-frauenbewegung/ [Zugriff: 21.08.2016].

[5] Verein Frauenforschung und weiblicher Lebenszusammenhang (Hg.) (1983): Info des Vereins. Zitiert in: Franke, Angela (1990): Das Archiv der Neuen Frauenbewegung. In: STICHWORT (Hg.): 10 Jahre Berggasse 5/24. Wien: Eigenverlag. S. 25.

[6] STICHWORT (2015): Veranstaltungen. Der class room als „Raum radikaler Möglichkeiten“. bell hooks ,Engaged Pedagogy‘. http://www.stichwort.or.at/veranst/kazeem.htm [Zugriff: 28.08.2016].

[7] STICHWORT (Hg.) (1990): S. 5, 58.

[8] STICHWORT (o.J.): „STICHWORT Bibliothek“. http://www.stichwort.or.at/archbib/bibliothek.htm [Zugriff: 14.08.2016].

[9] Archiv der Neuen Frauenbewegung (1985): Selbstdarstellung des Archivs der Neuen Frauenbewegung. Zitiert in: Franke, Angela (1990): S. 26.

[10] STICHWORT. Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung. G 7 STICHWORT. Hauser, Margit (2003): Spurensuche beginnt im Archiv. Unveröffentlichter Vortrag, gehalten in der Frauenhetz am 11.11.2003 bei der Veranstaltung „Konstruktionen und Kritik der Historisierungen“.

By |2018-11-24T04:37:10+01:001. September 2016|ForschungsAlltag|1 Comment

Elizabeth Kata, Bacherlorstudium der Mediävistik und Germanistik am Bryn Mawr College (USA), Masterstudium der Geschichtsforschung, historischen Hilfswissenschaften und Archivwissenschaft an der Universität Wien. Archives Associate im Archiv der International Atomic Energy Agency, vorher Archivarin im STICHWORT, Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung. Forschungsschwerpunkte: Bewegungsarchive, Archivalienkunde und digitale Langzeitarchivierung.

One Comment

  1. Alles META? – fernetzt 15. Februar 2017 at 16:13

    […] Vorteil von META zeigt sich etwa anhand von Einträgen aus STICHWORT. Das Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung hat schon länger einen eigenen Katalog, der auch online aufrufbar ist. Die gleichen Einträge wie […]

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