Die Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung (ÖGE) beschritt mit ihrem Fokus auf das Doing Gender in Exile inhaltliches Neuland. Damit ermöglichte die FrauenAG der ÖGE einen Perspektivenwechsel in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Exil.
Wir posten hier den Konferenzbericht der Organisatorinnen, der auch auf der Tagungswebseite veröffentlicht wurde.
Der Eröffnungsabend der Konferenz Doing Gender in Exile fand am 18. Oktober 2017 auf Einladung des Literaturhaus Wien statt und war mit mehr als 100 Teilnehmenden sehr gut besucht. Der Grußbotschaft von Muna Duzdar folgten einleitende Worten von Ilse Korotin für die FrauenAG der österr. Gesellschaft für Exilforschung, die unter anderem die 2012 verstorbene Initiatorin der FrauenAG, Siglinde Bolbecher, würdigte. Johanna Gehmacher gratulierte für den Forschungsschwerpunkt Frauen- und Geschlechtergeschichte der Universität Wien der ÖGE und ihrer AG Frauen zum 15. Geburtstag.
Der zweite Teil des Abends widmete sich aktuellen Themen der rezenten Flüchtlingsforschung, konkret Fragen nach sexueller Orientierung im Asylverfahren und Männlichkeiten im Fluchtkontext. Dazu waren die Juristin Janna Wessels (Universität Giessen) und der Geschlechterforscher Paul Scheibel-hofer (Universität Innsbruck) zu Gast und diskutierten mit Irene Messinger und dem Publikum. Der Abend klang bei Buffet und inspirierenden Gesprächen aus.
Das erste Panel des nächsten Tages zu Work and Gender in Exile behandelte die Schwierigkeit, Geschlechtsidentitäten und berufliche Identifizierungen im Herkunftsland, im Aufnahmeland und im Rückblick zu finden und zu verhandeln. Christine Hartig zeigte, wie bereits das Einwanderungsrecht in den USA und Großbritannien unterschiedliche Positionierungen von und in Familien bedingte.
Barbara Sauer beschrieb die Probleme verheirateter Frauen nach dem Krieg, Berufstätigkeit nachzuweisen, um Restitutionsansprüche gelten zu machen. Irina Gewinner sprach über geschlechtsspezifische Berufswahl in aktuellen Migrationskontexten und warf damit auch das Problem auf, dass es speziell bei Frauen schwer ist, Freiwilligkeiten und Zwänge zu unterscheiden.
Welche Rolle Männlichkeiten und weibliche Identität beim Schreiben und Erinnern spielen, thematisierte das zweite Panel: Anthony Grenville analysierte drei weibliche Lebensentwürfe in Anna Seghers Erzählung Der Ausflug der toten Mädchen und zeigte, wie diese als hauptsächlich geprägt durch die sie umgebenden Männer wie auch durch historisch-politische Umstände gezeigt werden.
Andreas Enderlin beschrieb in einer explorativen Reise durch Joseph Roths Erzählungen, wie sechs „kaputte“ Männlichkeiten „Heimat“ suchen und diese dabei zu einem geschlechtlich vielfältig konzipierten Ort wird. Marion Röwenkamp stellte dar, wie die Erinnerung an wichtige politische Akteurinnen der zweiten spanischen Republik im Exil diffamiert oder überschrieben wurde.
Im dritten Panel präsentierten vier Vortragende ihre Forschung zu Gendered Images. Bilder sollten nicht länger nur schmückende Illustration, sondern als „eigenständige Artefakte“ als diskursive Bildersprache erfasst werden, die gesellschaftliche Wirklichkeit produzierten. Die neue Frau tritt hier als selbstbewusste Bilderproduzentin auf.
Heike Klapdor hat anhand des Filmdrehbuchs der österreichischen Autorin Anna Gmeyner den Wandel weiblicher Lebensentwürfe im Exil nachgezeichnet. Iris Meder und Andrea Winkelbauer widmeten sich dem Schaffen jüdischer Wiener Fotografinnen und untersuchten, ob diese im Exil an ihre beruflichen Erfolge der Zwischenkriegszeit anschließen konnten. Pnina Rosenberg schließlich widmete sich den „Grafic Novels“, die gefangene Frauen der Lager Rieucors und Gurs während ihrer Gefangenschaft produziert haben.
Im vierten Panel, das erstmals auf einer Exiltagung Queerness in Exile verhandelte, spannte zunächst Andreas Brunner die queeren Netzwerke der Fotografin Erica Anderson auf und zeigte, wie so wesentliche informelle Verbindungen abseits der bekannten institutionalisierten Zusammenhänge gefasst werden können.
Ruth Jenrbekova näherte sich Erfahrungen einer Transidenität aus persönlicher, autobiografischer und zeithistorischer Perspektive, versuchte dabei Praktiken des „Queering Soviet, Creolizing National“ zu theoretisieren und „Closet“ und Exil in Zusammenhang zu bringen. Margit Franz wiederum begab sich auf die Spur queerer Kultur in britisch-indischen Internierungslagern.
In der Performance des Kvir Kosmonaftki Feministiki 100 Years after the Revolution. Unfulfilled Promises of a Gender/Queer Utopia and the New Post-Soviet Person verdichteten sich Themen wie die Situation von LGBTIQ* Geflüchteten und feministische Erinnerung nochmals in einer fiktiven Geschichte um die Raumfahrerin und Asylwerberin Valentina Tereshkova.
Das fünfte Panel widmete sich dem Austausch von Exilant*innen auf sprachlicher und institutioneller Ebene. Eva Eppler Duran analysierte die Konstruktion von Identität und Code-Switching in der Kommunikation von vier geflüchteten Österreicher*innen in London. Charmian Brinson ging den Verbindungen von deutschsprachigen Exilant*innen in verschiedenen kulturellen und politischen Organisationen nach und beschrieb ihre Besonderheiten, speziell wenn es sich um Gruppierungen innerhalb etablierter „männlicher“ Flüchtlingsvereinigungen handelte.
Panel sechs nahm „Doing Gender in the US Entertainment Industry“ in den Blick. Susanne Korbel zeigte Praktiken des Aushandelns von Geschlechtlichkeit in der populären Unterhaltungsszene New Yorks auf, wie sie vor dem Hintergrund der Notwendigkeit „to make a living“ stattfanden.
Katharina Strasser ging auf die traditionellen Männlichkeiten des Karl Farkas, der Teil dieser Szene war, ein und zeigte, wie Farkas‘ Bild von Geschlechterverhältnissen im Exil Erschütterung erfuhr, um aber nach der Remigration wieder nahtlos aufgenommen zu werden. Vera Kropf lieferte mit Materialien zur Agentin Ilse Lichtblau-Lahn erste Fragmente zu den Möglichkeiten einer kulturellen Übersetzerin.
Das letzte Panel widmete sich aktuellen Exilsituationen: Anna Di Giusto zeichnet die Situation jener Italienerinnen nach, die sich aus der Zugehörigkeit zur Mafia befreien wollten und als Zeuginnen in der Justiz aussagten. Ihr Exil – häufig in Norditalien – erforderte einen Bruch mit der vergangenen Identität und ermöglichte neue Gender- wie Lebensentwürfe. Der letzte Vortrag behandelte die Situation geflüchteter Afghaninnen, die als passive und vom Westen zu rettende Opfer dargestellt wurden – ein Bild, dem Diana Sherzada deutlich widersprach.
Insgesamt zeigte sich, wie sowohl der Blick auf aktuelle Exile wie auch die Perspektive des „Doing Gender“ den Exilbegriff weit öffnete. Verschiedene Arten der „Heimatlosigkeit“ – auch durch Auswanderungen, die erst zum Exil werden wie auch aufgrund von „Heimatlosigkeit“ in traditionellen Geschlechterverhältnissen – stehen in engem Zusammenhang mit Geschlechtsidentität als „site of struggle“.
Vorstellungen von Geschlechterverhältnissen – durch Exile oft erschüttert oder entwurzelt, aber auch befreit – werden in fremder Umgebung kontinuierlich und vielfältig neu verhandelt oder auch festgehalten, um zu „überleben“: „Doing Ehemann / doing Ehefrau“, „doing Ernährer*in“, „doing Familie“ etc. können in den gendered spaces des Aufnahmelandes neu aufgenommen, verworfen oder übersetzt werden.
Biographische Angaben zu den Hauptorganisatorinnen der Konferenz:
[…] Tagungsbericht Doing Gender in Exile, 18.-20.10.2017, Wien; von Irene Messinger & Katharina Prager (Link) […]