Sekretärinnen durften am Arbeitsplatz keine individuellen Spuren hinterlassen – mit Ausnahme von Blumen und Ziergrün. Anhand der sogenannten Büropflanze erzählt der Beitrag, wie sich das Sekretariat nach den Wirtschaftswunder-Jahren veränderte.
Immer wieder das gleiche Bild: Müssen Angestellte ihren Schreibtisch räumen, packen sie in einen kleinen Pappkarton ihre Habseligkeiten. Neben Büroutensilien und Schriftstücken gehört höchst wahrscheinlich auch ein kleines Topfpflänzchen dazu. In den 1950er und 60er Jahren, als Sekretariatsarbeit fast ausschließlich von Frauen betrieben wurde, beginnt die Geschichte der Büropflanze.
In Fragen der individuellen Arbeitsplatzgestaltung war man in den 1960er Jahren rigoros. Die Persönlichkeit einer Sekretärin durfte sich aber neben Haar- und Kleidermode[1] über botanisches Beiwerk ausdrücken. War das Vorzimmer mit seinen Benimmregeln zunächst eine räumliche Barriere, die es zwischen Angestellten und Chef zu überwinden galt, entwickelte es sich mehr und mehr zu jenem Ort, wo das für Angestellte an sich „unerlaubt Persönliche“,[2] „das gewisse Etwas“[3] in Form von Büropflanzen, doch noch seine Blüten treiben konnte.
Für ein sauber geführtes „Büro als Haushalt“[4] – und überhaupt für jede gut funktionierende „Büro-Ehe“[5] – sprach ein auflagenstarker Sektretärinnen-Ratgeber des Jahres 1971 die Empfehlung aus: „Bemühen Sie sich um die kleine Kunst des Blumensteckens.“[6] Hierin konnte die ,perfekte Sekretärin‘ ihre persönliche Note setzen, die bei der Laufkundschaft auf dem Weg ins Chefbüro nicht unbemerkt blieb.
Hauswirtschaftslehre
Die Wortverbindung im Ratgeber aus Haushalt, Ehe und Büro spricht bereits Bände über die geschlechtlichen Rollenbilder, wie sie im Sekretariat der 1960er Jahre vorherrschten. Neben den technischen Fertigkeiten zur Produktion von Geschäftskorrespondenz und betriebswirtschaftlichen Kenntnissen war von Sekretärinnen vor allem Beziehungsarbeit gefordert. Hierzu gehörte Verschwiegenheit in Firmenangelegenheiten, Loyalität gegenüber dem Chef, die Sorge ums Ambiente, das Bewirten der Gäste und nicht zuletzt die Vermittlung bei betriebsinternen Kontroversen.
Durch ihr „Eingeschaltet-Werden in menschliche Konflikte“,[7] die sich zwischen dem Chef und der restlichen Belegschaft anbahnen konnten, müsse die Sekretärin im Vorzimmer den emotionalen Zündstoff entschärfen. Viel harmloser scheint im Vergleich hierzu die Grünpflege, die aber kurioserweise zu den inoffiziellen, ja scheinbar schambehafteten Handlungen von Sekretärinnen gerechnet wird. Denn zum „diskret verborgenen Staubtuch“ greifen sie laut Ratgeber nur, „solange [i]hnen niemand zuschaut“.[8]
Evergreens
Billy Wilder brachte in seinem Hollywood-Klassiker The Apartment (R.: Billy Wilder, USA 1960) ein reich begrüntes Vorzimmer samt Sekretärin sowie die darum herum stattfindenden Liebesabenteuer auf die Leinwand. Ein Filmstill (s. Abb.) zeigt die Chefsekretärin Miss Olsen, hinter der zwei Monsterae deliciosae prangen. Auf ihrem Schreibtisch ist ein Gesteck aus Dahlien zu sehen.
Der antike Globus ganz im Hintergrund erinnert an die mit den Zimmerpflanzen verknüpfte Kolonialgeschichte – gehörte die Kartografie doch zu den technischen Voraussetzungen, um tropische Pflanzen wie diese ab dem 18. Jahrhundert nach Europa zu bringen, wo sie dann im Rahmen einer kostspieligen Sammelleidenschaft das Repräsentationsbedürfnis der Aristokratie und später des Großbürgertums befriedigen sollten.[9]
Auffällig an der Ausstattung von Billy Wilders preisgekröntem Film ist außerdem die vitrinenartige Glaswand, die zwar ganz zum sachlichen, funktionalen Stil der 1960er Jahre gehörte, aber in einem gewissen Kontrast zu den funktionslosen Zierpflanzen stand. Diese genügten, wie gesagt, den Repräsentationsansprüchen des 19. Jahrhunderts, waren aber aus den Eigenheimen der 1920er und 30er Jahre, wie sie beispielsweise das Bauhaus propagierte, annähernd verschwunden gewesen.[10]
Öffnung des Sekretariats
Besonders ausführlich widmete sich Jaques Tati in seinem Film Playtime (R.: Jacques Tati, FR 1967) dem Thema Glas und Büro. Er zeichnete aufs Kleinste die Paradoxien der Glasarchitektur nach, die nicht nur Einsicht, sondern auch Intransparenz erzeugt. Glas ist zwar durchschaubar. Es kann sogar Nähe suggerieren, da man es blankgeputzt nicht sieht. In gleichem Maße aber spiegelt und täuscht es auch.
Das Erstarken der Glasarchitektur im Büro läutete das Ende der Sekretärin als Vorzimmerdame ein. Das Sekretariat (lat. secretio, das Geheime, Nicht-Öffentliche) war aufgrund seiner baulichen Geschlossenheit der prädestinierte Ort, um das Betriebsgeheimnis zu hüten. Als es sich öffnete, zunächst durch Glas und wenig später durch das Großraumbüro, veränderte sich unweigerlich die Rolle der Sekretärin – und auch die der Pflanzen.
Anders als die bauliche Bindung des Vorzimmers an das Chefbüro, durch die Hierarchien entstehen, orientierte sich die Bürolandschaft an einem „egalitäre[n], konsensbasierte[n] und selbstorganisierte[n] Organisationsmodell“[11]. In diesem Rahmen sollte eine sich selbst regulierende Arbeitsgemeinschaft Fuß fassen, die z.B. auch Konflikte unter sich ausmachte. Ein privilegierter Zugang zu Informationen, wie ihn die Sekretärin im Vorzimmer noch genossen hatte, war in diesem Setting nicht mehr vorgesehen.
Bürolandschaft
In Deutschland, aber auch international waren die Gebrüder Schnelle und ihr Quickborner Team Anfang der 1960er Jahre Pioniere des Großraumbüros. Zunächst als Möbelfabrikanten tätig, zeigte sich bald, dass die Gebrüder Schnelle über die Planung gesamter Bürokomplexe, die sie ,Bürolandschaft‘ nannten, weitaus mehr Möbel verkaufen konnten.[12]
Was ist eine Bürolandschaft? Auf einer großflächigen, barrierefreien Ebene sollen „bewegliche Elemente wie Sessel, Tische, Stellwände, Grünpflanzen als auch Mitarbeiterinnen, Maschinen und Automaten [… in] verschiedenen Konstellationen zueinander angeordnet“[13] werden können. So wird der Arbeitsraum flexibel an variierende Arbeitsabläufe angepasst.
Den Pflanzen, die ins Großraumbüro mit übersiedelten, kam in diesen variablen Arrangements nun zum ersten Mal eine eigenständige Aufgabe zu:[14] Sie sollten die einzelnen Arbeitsbereiche akustisch isolieren sowie ihre Zugänge und Verkehrswege visuell markieren. Hier befanden sich die Pflanzen nicht mehr im persönlichen Umfeld der Sekretärinnen, sondern wurden in der Belegschaft vergesellschaftet. Das botanische Epitheton und Accessoire der Sekretärin wurde zu einem innenarchitektonischen Bauelement.
Verstand es eine Sekretärin zuvor als Auszeichnung, „in der Nähe des höchsten Chefs arbeiten zu dürfen“, so hat der „Typ des still vor sich hinarbeitenden Angestellten, der die Unterlagen streng verschlossen und sich für unentbehrlich hielt, […] im Großraumbüro ausgedient.“[15] So ein Zeitzeuge aus dem Jahre 1976, dessen Firmenbelegschaft kürzlich in ein Großraumbüro umgezogen war und der nicht unerwähnt ließ, dass das neue Bürolandschaftsklima absolut niemandem zuträglich war. Außer den Pflanzen: Sie „gedeihen prächtig.“[16]
In Kürze erscheint die mit dem Blogbeitrag in Verbindung stehende Publikation: Christian Wimplinger: Sekretärin – Die Frau mit Eigenschaften. Dritte in der Schreibkooperation von Negt und Kluge, in Christian Schulte, Birgit Haberpeuntner, Melanie Konrad (Hg.): Plurale Autorschaft [Alexander-Kluge-Jahrbuch 2020/7].
Anmerkungen
[1] Vgl. Annegret Pelz: City Girls im Büro. Schreibkräfte mit Bubikopf, in Julia Freytag (Hg.): City Girls. Bubiköpfe & Blaustrümpfe in den 1920er Jahren, Köln/Wien/Weimar 2011, S. 35–53, hier S. 35.
[2] Annemarie Lennartz: Sekretärin – mit Erfolg, Berlin 1973, S. 123.
[3] Ebd.
[4] Ebd. S. 114.
[5] Ebd. S. 11.
[6] Ebd. S. 124.
[7] Otto Christian Gerlach: Die perfekte Sekretärin, Frankfurt a. M./Wien 1954, S. 43.
[8] Lennartz: Sekretärin – mit Erfolg, S. 102.
[9] Vgl. Andreas Gröger: Als die Tropen unser Wohnzimmer eroberten. Eine kleine Geschichte der Zimmerpflanze, München 2019, S. 8–11.
[10] Ebd., S. 12–13.
[11] Andreas Rumpfhuber: Architektur immaterieller Arbeit, Wien 2013, S. 36.
[12] Vgl. Benno Kroll: Aufstieg und Fall der Gebrüder Schnelle, in manager magazin Nr. 6 (1972), S. 67–69.
[13] Rumpfhuber: Architekturen immaterieller Arbeit, S. 40.
[14] Die psychologischen Auswirkungen zur Steigerung der Arbeitsmotivation oder die Luftreinigung durch Pflanzen waren in den 1960er Jahren noch nicht relevant.
[15] Kurt Auermeier: Im Großraumbüro, in Kursbuch Nr. 43 (1976), S. 52–56, hier S. 56.
[16] Ebd. S. 52.
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