Wiener Kinos in Frauenhand

Frauen gehörten zu den Pionier*innen der Kinematographie in Österreich. Sie waren u. a. Schaustellerinnen, Kinobetreiberinnen, Filmvorführerinnen, Produzentinnen, Regisseurinnen, Schauspielerinnen, Verleiherinnen. Wie groß ihr Anteil am Kinowesen tatsächlich war, ist heute weitestgehend unbekannt.

Nachdem der Cinématographe der Brüder Lumière 1896 in Wien in einem Gebäude an der Ecke Kärntner Straße/Krugerstraße erstmals der zahlenden Öffentlichkeit präsentiert worden war, entstanden innerhalb von zwei Jahrzehnten Hunderte Film- und Kinoinstitutionen in der Stadt. Zunächst wurde der Kinematograph von wandernden Schausteller*innen in Gaststätten, Varietés, Zelten und Schaubuden vorgeführt, bis um 1905 die ersten Kinoetablissements und selbständigen Kinobauten errichtet wurden.

Kino Stiller im Wiener Prater um 1912. An der Kassa links sitzt vermutlich Besitzerin Josefine Kirbes.
Kino Stiller (2., Prater 40), vermutlich Josefine Kirbes (Kassa, links) mit Angestellten, um 1912. Quelle: Wien Museum

Die Leopoldstadt mit dem Prater entwickelte sich neben der Inneren Stadt, dem Neubau und „Vorstadtbezirken“ wie Landstraße, Rudolfsheim-Fünfhaus oder Ottakring zu einem der kinoreichsten Bezirke von Wien. Frauen waren maßgeblich an diesem Aufbau der Wiener Film- und Kinobetriebe beteiligt. Im Folgenden werden einige Aspekte skizziert, die als Beispiele weiblicher Geschäftsanteile, Erwerbstätigkeit und Mitbestimmung im Kinowesen zu sehen sind. Es handelt sich in vielen Belangen um Forschungsdesiderate.

Der Wiener Prater – ein Freiraum

Der Prater in Wien-Leopoldstadt gehörte zu den Zentren der frühen Kinematographie. In dem Vergnügungspark wurden Schaubuden zu Spielstätten umfunktioniert, die ausschließlich Filmvorführungen in regelmäßigen Intervallen anboten. Hatte das Kino in der Inneren Stadt noch einen gewissen exklusiven Charakter, wurde es hier einem Massenpublikum zugänglich. Im Prater herrschten eigene Gesetzmäßigkeiten des Spektakels und der Sensation. Dies machte ihn zu einem Ort der Abweichung und Überschreitung gesellschaftlicher Normen, und eröffnete somit auch Frauen ein besonderes Betätigungsfeld. Schaustellerinnen wie Josefine Kirbes und Auguste Schaaf nahmen die neue Attraktion „lebende Bilder“ schon 1897/98 in ihr Programm auf.[1]

Zu einem der ersten freistehenden Kinogebäuden in Wien gehörte das 1905/06 errichtete Praterkino der Theresia Klein, deren Name auch auf der reich dekorierten Fassade prangte. Der aufwändig mit Zwiebeltürmen, Giebelfiguren, Karyatiden, Ornamenten, Stuckgesimsen und Lichterketten gestaltete Repräsentationsbau erhielt den Namen „Krystall-Kino“ und schließlich „Kristall-Palast“.

Kinos mit Innovation und Stil – Moderne Prachtetablissements

Werbeplakat für Mizzi Schäffers Grand Kinematographentheater in Wien um 1908. Abgebildert ist eine Dame mit weißen Klad, die einen Globus in der Hand hält.
Werbeplakat für Mizzi Schäffers Grand Kinematographentheater (6., Mariahilfer Straße 37), um 1908. Filmarchiv Austria

Auch das 1906 im 6. Bezirk in der Mariahilfer Straße eröffnete Grand Kinematographentheater der Theaterschauspielerin Mizzi Schäffer verstand sich als Prachtkino. Sein Saal verwies mit Logen, Lustern sowie Dekor in Gold und rotem Samt auf einen Theaterraum. Mit seiner gediegenen Ausstattung warb es im Gegensatz zum Gros der damaligen Kinos, die schlicht eingerichtet waren, um ein „gehobeneres“ Publikum. So rühmte sich die ab 1910 in Gemeinschaft mit Franz Haushofer auftretende Kinobesitzerin, „Angehörige des höchsten Adels“, die „Spitzen der Wiener Gesellschaft“ und „Mitglieder des kaiserlichen Hauses“ zu ihren Besucher*innen zu zählen.[2]

Das Kino verfügte über eine moderne Ventilation, wodurch es sich insbesondere gegenüber der großen Zahl an Ladenkinos (in Wien auch „Schlauchkinos“ genannt) auszeichnete. Bei diesen handelte es sich um ebenerdige, wie Geschäfte von der Straße betretbare Räume. In den kleinen Kinosälen, die zudem häufig überfüllt waren, wurde versucht, die Luftqualität durch die Verwendung von Luftdesinfektionsmitteln (zum Beispiel Perolinspritzen) zu verbessern. Die Exklusivität des Schäfferʼschen Grand Kinematographentheaters bestand nicht allein in technischen Verbesserungen, sondern auch in einer mondänen Inszenierung des Kinobesuchs. Das Publikum wurde beim Betreten von einem Schwarzen Mann[3] empfangen und die Billeteure waren in Livreen gekleidet[4].

Nicht nur Mizzi Schäffer, auch die Kinobesitzerin Irma Handl führte neue klimatische und hygienische Standards ein. Irma Handl kommt in der österreichischen Kinogeschichte ein besonders verdienstvoller Stellenwert zu. Sie gründete 1905 ihre gleichnamige Filmverleihfirma, eine der ersten der Habsburger-Monarchie, und unterhielt mehrere Kinos in Wien. Ihr Hauptkino, das Erste Wiener Kinematographentheater, befand sich in der Äußeren Mariahilfer Straße (15.) und wurde 1911 umgestaltet. In moderner Architektur bot es, dem Zeitgeist des anspruchsvollen, am Theater orientierten Kinostils entsprechend, Logen und war „brillant ventiliert“, wie von der „neuen Sehenswürdigkeit […] der beliebten Direktrice Frau Irma Handl“ berichtet wurde.[5]

Ein Ort für Aussteigerinnen und Quereinsteigerinnen

Viele Kinos wurden in Familien und Partnerschaften geführt, auch von Eheleuten, wobei Frauen nicht zuletzt im Ersten Weltkrieg und nach dem Krieg (als Witwen) zusätzlich die Aufgaben ihrer Männer übernahmen. Die familiäre Situation und soziale Herkunft der Frauen sind jedoch weit breiter gefächert und die hohe Zahl der Frauen in der Kinowirtschaft nicht allein als Substitut freiwerdender Posten zu erklären.

Schriftannonce für das Kina von Irma Handl in der Kinematographische Rundschau, 20.8.1911.
Annonce für das Kino von Irma Handl, Kinematographische Rundschau, 20.8.1911. Quelle: ÖNB/ANNO

Das Kinowesen scheint aus der Perspektive der Frauen für partnerschaftliche Berufsausübung, aber auch für gesellschaftliche Neuorientierungen, Brüche und Autonomiebestrebungen zu stehen. Adelige und großbürgerliche Frauen führten selbständig Kinos neben der Erwerbstätigkeit ihrer Männer und auch Quereinsteigerinnen aus anderen Sparten, wie die Theaterschauspielerin Mizzi Schäffer, sind in der Kinobranche nicht selten.

Unter den Kinobesitzerinnen und -betreiberinnen fanden sich Schaustellerinnen wie Theresia Klein (2., Krystall-Kino), Krankenpflegerinnen wie Irene Kittel (2., Donaustadt-Kino), Haushälterinnen wie Marie Kokesch (2., Münstedt Palast), Staatsbeamtenwitwen wie Marie Demmer (5., Franzens-Kino), Taxiunternehmerinnen wie Jenny Hilbert Heister (14., Gloriette-Kino), Opernsängerinnen wie Helene Oberländer (3., Elektrotheater), Hausbesitzerinnen wie Ida Seif (6., Residenz-Kino), Fabrikantengattinnen wie Eugenie Walter (6., Magdalenen-Kino; 16., Walter-Kino) oder Gemischtwarenhändlerinnen wie Sophie Poppenwimmer (21., Kino Poppenwimmer).[6]

All diese Frauen waren in einem Berufsfeld tätig, dem von der hegemonialen Öffentlichkeit vielfach kritisch und mit moralischen Vorbehalten begegnet wurde. Das Kino galt als ein Ort der Schaulust und Zerstreuung, der (massenhaften) gesellschaftlichen Durchmischung sowie als ein Instrument eines populären, hybriden Bildungs- und Kulturverständnisses. Daher wurde es als eine Antipode und Bedrohung bürgerlicher Werte und Normen aufgefasst[7] – was nicht zuletzt für Kinobesitzerinnen und Kinobetreiberinnen bürgerlicher Herkunft eine besonders spannungsreiche Konstellation mit sich brachte.

Frauenerwerb – selbständig und unterrepräsentiert

Die Kinematographie schuf nicht zuletzt neue Arbeitsplätze und war ein lukratives Geschäft, dessen Potential auch Frauen erkannten. Ein Blick auf die Konzessionsvergaben zeigt, dass ein Drittel und in manchen Zeitspannen in einzelnen Bezirken die Hälfte der Kinokonzessionen in den Händen von Frauen waren. Exakte Zahlen sind aufgrund der mitunter kurzlebigen Kinobetriebe und der oft verworrenen Lizenz- und Besitzverhältnisse schwer zu ermitteln und bleiben zum derzeitigen Zeitpunkt ein Forschungsdesiderat. Das betrifft auch die Frage, ob eine Konzessionierung für Frauen mit besonderen Herausforderungen oder Schwierigkeiten verbunden war. Der bemerkenswert hohe Anteil an Kinokonzessionen, die von Frauen gehalten wurden, lässt zumindest vermuten, dass das Kino selbstbewussten und tatkräftigen Frauen unterschiedliche Betätigungsfelder eröffnete und diese auch Autonomie erlangen konnten.

Aus einigen Berufsfeldern des Kinobetriebs sind jedoch durchaus Widerstände und Diskriminierungen belegt. Beispielsweise forderten die Vertreter der Kinooperateure (Filmvorführer) auf der Kino-Enquete 1912, Frauen von der Zulassung für die Bedienung des Projektionsapparates auszuschließen. Sie unterstellten den Frauen „Nervenschwäche“ und „Geistesschwäche“, wodurch diese im Gefahrenfalle unzuverlässig seien. Repräsentant*innen des Reichsverbandes der Kinematographenbesitzer Österreichs und anderer Interessensvereinigungen sprachen sich hingegen für die Zulassung der Frauen aus. Sie argumentierten mit Beispielen aus anderen Bereichen:

Die Erfahrungen, die mit Ärztinnen im Krankenhause gemacht wurden, berechtigen zu der Behauptung, daß die Damen im Gefahrsfalle nicht minder geistesgegenwärtig sind wie die Männer.

„Enquete betreffend die Regelung des Kinematographenwesens (Erster Tag)“, in: Wiener Zeitung, Nr. 87, 17.4.1912, S. 9–11, hier: S. 11.

Immerhin bewiesen es „die Damen“ schon seit 1908, als in Wien die erste Frau die Operateursprüfung ablegte: Sophie Nehez, die gemeinsam mit ihrem Mann das Zentral-Kino in Ottakring führte und dort auch als Filmvorführerin arbeitete.

Die Stimme der Frauen

Der große Beitrag, den Frauen für das Kino- und Filmwesen leisteten, spiegelte sich allerdings nicht in den Vertretungen der Interessensgemeinschaften wirtschaftlicher und kinopolitischer Institutionen wider. Entscheidungstragende und repräsentative Funktionen der Fachverbände wurden vornehmlich von Männern ausgeübt, nur selten wurden Frauen berufen. 1920 wurde beispielsweise Hermine Eckstein, die gemeinsam mit ihrem Mann Josef von 1907 bis 1914 im 1. Bezirk das Graben-Kino und ab 1911 im 17. Bezirk die Hernalser Lichtspiele führte, als Beirätin in den Vorstand des Zentralverbandes der österreichischen Lichtspieltheater gewählt.[8]

Annonce für die Verleihfirma von Irma Handl in Wien, in der Kinematographischen Rundschau, 6.7.1913.
Annonce für die Verleihfirma von Irma Handl, Kinematographische Rundschau, 6.7.1913. Quelle: ÖNB/ANNO

Auch in der diskursiven Öffentlichkeit sind Kinobesitzerinnen und Kinobetreiberinnen schwer zu fassen. Als ab 1907 eine öffentliche Debatte über die ästhetischen sowie soziokulturellen Qualitäten und Aufgaben des neuen Mediums Films und seines Ortes Kino einsetzte, standen die Kinobesitzer*innen in der Kritik, ihre Programme allein auf kapitalistische Interessen ausgerichtet zu haben. Während festzustellen ist, dass Frauen beispielsweise als Vertreter*innen christlicher Verbände, der Lehrerschaft oder der Arbeiterschaft einen entscheidenden Part in der Kino-Debatte einnahmen, kann nach derzeitigem Forschungsstand keine Aussage darüber getroffen werden, in welchem Ausmaß sich Kinobesitzerinnen und Kinobetreiberinnen öffentlich (kultur-)politisch an den Diskursen beteiligten.

Frauen haben die Kinematographie in Wien in allen Tätigkeitsfeldern von Beginn an aufgebaut. Auch während der „Ständestaat“-Diktatur und im Nationalsozialismus scheinen Kinobesitzerinnen und -betreiberinnen auf, und das gleichermaßen als Opfer wie Täterinnen der politischen Ideologien. Jüdinnen verloren durch die nationalsozialistischen »Arisierungen« 1938 ihre Betriebe. Auf der anderen Seite wurden gesinnungstreue Nationalsozialistinnen beim Kauf der enteigneten Kinos bevorzugt.

Frauen prägten die Kinobetriebe bis in die 1960er-Jahre[9], als mit dem einsetzenden Niedergang der kleinen Kinos (der Nahversorger ums Eck) und der wachsenden Übermacht der großen Konzerne auch die Frauen zusehends aus der Wiener Kinowelt verschwanden. Ihr tatsächlicher Anteil an der fast 125-jährigen Kinogeschichte Österreichs ist sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht noch eine unbekannte Größe.

Martina Zerovnik

Der Beitrag ist das Ergebnis der Arbeiten an der Ausstellung „Kino Welt Wien“, in deren Verlauf mehr Fragen aufgeworfen wurden als beantwortet werden konnten. Es handelt sich somit vorwiegend um Forschungsdesiderate. Aus den skizzierten Aspekten soll in Folge ein umfassendes Forschungsprojekt entwickelt werden.

Ausstellung: Kino Welt Wien. Eine Kulturgeschichte städtischer Traumorte, eine Ausstellung des Filmarchiv Austria im METRO Kinokulturhaus.

Anmerkungen

[1] Christian Dewald/Werner Michael Schwarz (Hg.): Prater Kino Welt. Wien 2005, S. 27 sowie S. 35.

[2] Kinematographische Rundschau, Nr. 199, 31. Dezember 1911, S. 58.

[3] „Mariahilfer Grand-Kinematographentheater“, in: Kinematographische Rundschau, Nr. 17, 1.10.1907, S. 3. Die rassistisch motivierte Beschäftigung von Schwarzen Menschen zielte damals auf die symbolische Kennzeichnung des Betriebes mit Merkmalen exotischer Attraktion und mondäner Exklusivität (vgl. das Phänomen „Liftboy“ in Hotels und Kaufhäusern).

[4] „Grand-Kinematographentheater der Frau Direktor Mizzi Schäffer“, in: Kinematographische Rundschau, Nr. 41, 1.10.1908, S. 2.

[5] N.N.: „Eine neue Sehenswürdigkeit“, in: Deutsches Volksblatt 23, Nr. 7985, 25.3.1911, S. 7.

[6] Werner Michael Schwarz: Kino und Kinos in Wien. Eine Entwicklungsgeschichte bis 1934. Wien 1990, S. 179–296.

[7] Peter Jelavich: „‘Darf ich mich hier amüsieren?‘ Bürgertum und früher Film“, in: Manfred Hettling/Stefan-Ludwig Hoffmann (Hg.): Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichten des 19. Jahrhunderts. Göttingen 2000, S. 283–303.

[8] Offizielle Mitteilungen des Reichsverbandes der Kinematographenbesitzer Österreichs und des Verbandes der Lichtspielbühnen Niederösterreichs, in: Neue Kino-Rundschau, Nr. 159, 20.3.1920, S. 3–5, hier: S. 4.

[9] Marion Breiter: „Thalia, Dido und Fortuna: Träume waren ihr Geschäft – Kinobesitzerinnen in Wien“, in: Martina Zerovnik (Hg.): Kino Welt Wien. Eine Kulturgeschichte städtischer Traumorte. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des Filmarchiv Austria im METRO Kinokulturhaus, 5.3.2020–10.1.2021. Wien 2020, S. 224–237.

Von |2020-10-15T12:04:18+01:0015. Oktober 2020|Gesellschaft&Geschichte|0 Kommentare

Martina Zerovnik ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin, Kuratorin, Texterin und Lektorin und seit 2017 Chefkuratorin am Graz Museum. Nach dem Studium der Germanistik und Philosophie an der Universität Wien beforscht sie in ihrem Dissertationsprojekt den Diskurs über die ästhetischen und soziokulturellen Funktionen und Qualitäten des Stummfilms („Kino-Debatte“). Sie forscht und publiziert mit Schwerpunkt Kunst- und Kulturtheorie, Medienwandel, Geschlechterstudien sowie Repräsentations- und Identitätskonzeptionen. Weitere Informationen finden sich unter www.zerovnik.at.

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