Reisen wie ein Mann? Das Spiel mit den Geschlechterrollen bei Ida Pfeiffer

Abenteuerliche Reisen um die ganze Welt und die Begegnung mit dem „Fremden“ waren im 19. Jahrhundert nicht nur Männern vorbehalten, immer mehr Frauen wagten sich in das „Unbekannte“. Auf ihren Reisen erlebte Ida Pfeiffer nicht nur Abenteuer, sondern spielte auch mit den Geschlechterrollen.

Abb. 1: Ida Laura Reyer-Pfeiffer, Lithographie: Adolf Dauthage, 1855, Quelle: Wikimedia Commons.

Ida Pfeiffer (1797–1858) wurde in Wien als drittes Kind der wohlhabenden Kaufmannsfamilie Reyer geboren. Sie wuchs in einer Zeit auf, in der die Geschlechterordnung ein asymmetrisches Konstrukt darstellte, das durch festgesetzte Geschlechterrollen gekennzeichnet war. Sie bestimmten das Leben der Menschen und Verhaltensweisen wurden als typisch „weiblich“ oder „männlich“ interpretiert.[1] Ihr Leben lang setzte sich Ida Pfeiffer mit diesen Rollen auseinander, was sich unter anderem in ihren Reiseberichten erkennen lässt. In diesem Beitrag wird auf Ida Pfeiffers Betrachtung und Umgang mit den bürgerlichen Geschlechterrollen eingegangen.

Ein Leben nach den Regeln

Die bürgerliche Erziehung sah für Mädchen und Frauen Tätigkeiten wie Lesen, Schreiben und Handarbeit vor. Ida Pfeiffer bevorzugte jedoch das Spiel mit Säbel und Gewehr und verbrachte dabei viel Zeit mit ihren Brüdern.[2] Erst als 12-jähriges Mädchen musste auch sie sich den gesellschaftlichen Konventionen beugen. Ihr wurde verboten, Knabenkleidung zu tragen und ein „wildes Verhalten“[3] an den Tag zu legen. Die weibliche Sozialisation nahm ihren Anfang und allein der Unterricht mit ihrem Hauslehrer und die intensive Lektüre von Reiseberichten brachten der jungen „Biedermeierdame“[4] Abwechslung.

In ihrem 24. Lebensjahr ging sie die Ehe mit dem Juristen Mark Anton Pfeiffer (1773–1845) ein. Die Familie lebte in bedrückenden Verhältnissen und aufgrund der finanziellen Situation verrichtete Ida Pfeiffer nicht nur die im Haushalt anfallenden Arbeiten selbst, sondern erteilte auch Privatunterricht, um die Haushaltskasse aufzubessern. Erst nach dem Auszug ihrer Söhne aus dem Elternhaus konnte sie im Jahr 1844 ihre erste „große“ Reise antreten.

Abb. 2: Ida Pfeiffer im Reisekostüm, Lithographie, Adolf Duthage, 1855, Quelle: Wikimedia Commons.

Der Ausbruch – Die Reise in den Orient

Das erste Reiseziel stellte das Heilige Land dar. Bereits vor Antritt der Reise setzte sich Ida Pfeiffer mit Aufzeichnungen anderer Reisender als Vorbereitung auf ihre Pilgerreise auseinander. Während andere reisende Zeitgenossinnen wie beispielsweise Ida von Hahn-Hahn mit männlicher Begleitung reisten, wollte Ida Pfeiffer ihre Reise entgegen den vorherrschenden Konventionen alleine antreten.

Unterstützung fand sie bei Menschen, denen sie auf ihren Reisen begegnete. Insbesondere der Kontakt zu männlichen Reisenden und Einheimischen sollte ihre Reiseerfahrung maßgeblich prägen.[5] Obwohl sie in der Begleitung von Männern nicht nur einen Schutz vor potenziellen Gefahren sah sowie ein Mittel, um das weitere Reiseziel schnellstmöglich zu erreichen, befürchtete sie im gleichen Zuge auch, aufgrund ihres Geschlechts von der männlichen Reisegruppe verwiesen zu werden.[6]

„[…] und als ich den Wunsch äußerte, waren sie so gefällig, mich als vierte Person in ihrem Bunde beitreten zu lassen; doch als es zur Ausführung kam, wäre ich bald wankend geworden. Es fragte mich nämlich jemand, ob ich gut reiten könne. Wäre dies nicht der Fall, dann sollte ich ja nicht mitgehen [].“[7]

Eine ähnliche Schilderung findet sich in ihren Aufzeichnungen über den sechzehnstündigen Ritt von Jaffa Richtung Jerusalem, den sie trotz Unwohlseins, Kopfschmerzen und Fieberschauer absolviert hatte. In ihrer Reisebeschreibung, die zwei Jahre später veröffentlicht wurde, lässt sich immer wieder erkennen, dass sie sich nicht nur als furchtlose, abenteuerliche Person darstellen wollte, sondern auch als eine Reisende, die genauso körperliche Strapazen erdulden konnte wie männliche Reisende.

Neben ihrer Anpassung an die männlichen Mitreisenden fand im Zuge der Reise auch eine Veränderung ihrer Reisegarderobe statt. Die in mehreren Lagen üppig drappierte Bekleidung wurde auf ein schlichtes Kleid und eine knöchellange Hose reduziert.[8] Diese drastische Modifizierung, die einem funktionalen Aspekt folgte, endete letztlich in einem Kurzhaarschnitt.[9]

Abb. 3: Ida Pfeiffer, Fotografie: Franz Hanfstaengl, 1856, Quelle: Wikimedia Commons.

Ein Kampf mit den Geschlechterrollen

Während ihre Orientreise 1844 ein Herantasten an das Leben außerhalb der geregelten Geschlechtergrenzen darstellte, ist Ida Pfeiffers Islandreise im Jahr 1845 durchaus als Wendepunkt in ihrem Verständnis als Reisende und Frau der Gesellschaft zu sehen. Ida Pfeiffer verdeutlicht erstmals ihren Unmut darüber, sich dem „anderen“ Geschlecht zu unterwerfen und unterstreicht, dass sie sich dem „starken“ Geschlecht ebenbürtig fühlte.[10]

In ihrer Reisebeschreibung über ihre Reise nach Nordeuropa[11] lässt sich ein verstärktes Bewusstsein für die bürgerlichen Geschlechtervorstellungen erkennen, welche die Reisende auch zu reflektieren scheint. So schrieb sie über ihre Rolle als Frau in der Gesellschaft und kritisierte in Teilen das vorherrschende Geschlechterbild, das Frauen in zumeist passive Rollen zwang.

Des Weiteren schrieb sie über das dispektierliche Verhalten der Isländer*innen ihr gegenüber, das sich unter anderem darin zeigte, dass sie auf Feierlichkeiten nicht eingeladen wurde. Sie betonte hierbei in ihren Aufzeichnungen, dass ein solches Verhalten gegenüber einem Mann wohl gemaßregelt worden wäre.

„Wäre ich ein Mann, ich würde ganz anders sein und gewiß keine Nachlässigkeit ungerügt lassen. So aber, als Frau schweige ich; man würde sich nur über mein Geschlecht erzürnen und es launenhaft nennen.“[12]

Weiters präsentierte sie sich in ihrer Reisebeschreibung als Abenteurerin und Forscherin und unterstrich, dass man gerade als reisende Frau ein selbstbewusstes und energisches Auftreten vor Kritik der restlichen Gesellschaft schützen müsse:

„[…] ich hatte nun erprobt, daß es eine Frau mit festem Willen in der Welt ebenso gut fortkommt wie ein Mann […].“[13]

Lässt sich eine derartige Kritik an Geschlechterrollen durchwegs in ihren Reisebeschreibungen finden? Auf ihren weiteren Reisen beispielsweise nach Nordamerika im Jahr 1854 hielt Ida Pfeiffer ihre Sichtweisen über das weibliche Geschlecht vermehrt fest. Auffallend ist hierbei, dass sie in ihren Aufzeichnungen Frauen vor allem dann beschreibt, wenn sie über die Themen Häuslichkeit, Kindererziehung sowie Bildung berichtete. So hebt sie etwa das Erscheinungsbild der wohlhabenden US-Amerikanerinnen in Marysville (USA) positiv hervor,[14] und kritisiert zu einem späteren Zeitpunkt, wie diese ihren Haushalt führen sowie ihre Kinder erziehen:

„Die Mütter in der wohlhabenden Klasse sind wenig für die Häuslichkeit erzogen; sie verbringen den größten Teil des Tages im Rocking-Chair schaukelnd, eine Novelle lesend oder einen Spaziergang machend, die Kaufläden besuchend, in welch letzteren sie Stunden zubringen, um die schönen Waren zu besehen. Für Kindererziehung Sorge zu tragen, dieselbe zu überwachen, haben sie weder Lust noch Zeit.“[15]

Die beiden Beispiele lassen eine gewisse „Doppelmoral“ Ida Pfeiffers erkennen. Einerseits kritisierte sie die starren, geschlechtsbezogenen Stereotype, andererseits bewertete sie andere Frauen in ihren Reiseberichten vor allem hinsichtlich ihres Erscheinungsbildes, ihrer Fertigkeiten im Haushalt und der Erziehung, wenn sie sich nicht mit ihren eigenen Vorstellungen überlappten.

Abb. 4: Gesammelte Naturalien (1856), Naturalis Biodiversity Center, Quelle: Wikimedia Commons.

In den Kreisen bekannter Reisender, Forscher und Adeliger

Ihrer Popularität und die Tatsache, dass sie von ihren Mitmenschen nicht nur bestaunt, sondern auch als Kuriosum belächelt wurde,[16] war sich Ida Pfeiffer durchaus bewusst und so nutzte sie auf ihren Reisen den Kontakt zu Männern, um Einblicke in neue Lebenswelten zu erhalten, finanzielle Zuwendungen zu akquirieren und auch kostengünstig zu reisen. Ob in Kapstadt, Singapur, Borneo oder in Nord- und Südamerika – Ida Pfeiffer nutzte ihre Bekanntschaften zum „anderen“ Geschlecht geschickt aus und berichtete über die Treffen in ihren Reisebeschreibungen.

Abb. 4: Titelblatt „Meine zweite Weltreise“, Niederländische Ausgabe, 1856, Rijksmuseum, Quelle: Wikimedia Commons.

Während ihrer Erkundungen durch Sarawak (Malaysia) wurde Ida Pfeiffer beispielsweise von Kapitän Brooke, der ihr Einblick in die Lebenswelt der Inselbewohner*innen ermöglichte, begleitet.[17] An anderer Stelle schreibt sie darüber, dass sie in Batavia/Jakarta (Indonesien) die Möglichkeit erhielt, kostenfrei im Hotel Neederland bei Herrn Novesand zu übernachten.[18] Ähnliche Beschreibungen finden sich auch in anderen Reiseberichten.

Der Kontakt zu Forschern und Förderern ermöglichte ihr die Finanzierung weiterer Reisen und förderte ihre Popularität in der Gesellschaft. So traf sie sich mit Alexander von Humboldt (1769–1859), den Geographen Carl Ritter (1779–1859) und August Petermann (1822–1878) sowie dem Afrikareisenden Heinrich Barth (1821–1865). Ebenfalls traf sie Fürst Metternich, Erzherzog Ferdinand Maximilian (1832–1867) und Leitern von musealen Institutionen, die sie mit der Sammlung von Gegenständen beauftragten.[19] Ihre Reisebeschreibungen wurden in mehrere Sprachen übersetzt und somit weltweit bekannt.

Die nationale und internationale Presse berichtete regelmäßig über Ida Pfeiffers Reiseabenteuer sowie ihre Ehrungen, die sie für ihre Forschungsleistung erhielt. So wurde sie unter anderem vom preußischen König mit der Medaille für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet und als erste Frau Ehrenmitglied in der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Des Weiteren nahm sie regelmäßig an Sitzungen der Pariser Geographischen Gesellschaft teil.[20]

Rückkehr in alte Muster

Trotz Überschreitung der Grenzen der damaligen Zeit und der damit einhergehenden Emanzipation zeigte Ida Pfeiffer durch ihre Reiseberichte, dass ihr androgynes und forsches Auftreten meist nur auf die Dauer ihrer Reisen begrenzt und die Rückkehr nach Wien mit der Übernahme „traditioneller“ Rollenmuster verbunden war. Obwohl sie die gewonnene Freiheit, die sie durch ihre Reisen errungen hatte, auskostete, kritisierte sie auf der anderen Seite die Entwicklung der „modernen“ Frau.

Ihr Umgang mit dem „eigenen“ und dem „anderen“ Geschlecht war einem Entwicklungsprozess unterworfen, der sich letztlich nicht nur in der Interaktion mit der „Fremde“ zeigte, sondern auch an Veränderungen in ihrer Reisepraxis sowie ihrer Selbstdarstellung als weibliche Reisende.

Ida Pfeiffer ist somit als Reisende zu verstehen, die mit damaligen Moralvorstellungen des bürgerlichen, europäischen Frauenideals spielte und neue Wertmaßstäbe setzte.

Valentina Sophia D’Uva

Anmerkungen

[1] Vgl. Göttsch, Silke: Geschlechterforschung und historische Volkskultur. Zur Re-Konstruktion frühneuzeitlicher Lebenswelten von Männern und Frauen, in: Christel Köhle-Hezinger / Martin Scharfe / Rolf Wilhelm Brednich (Hrsg.), Männlich. Weiblich. Zur Bedeutung der Kategorie Geschlecht in der Kultur. 31. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, Marburg 1997, Münster [u.a.] 1999, 1–17, hier 2f.; D’Uva, Valentina: Begegnung – Betrachtung – Annäherung. Das „andere“ Geschlecht in ausgewählten Reisebeschreibungen Ida Pfeiffers (1797–1858), in: historioPLUS 10 (2023), online unter: http://www.historioplus.at/begegnung-betrachtung-annaeherung-das-andere-geschlecht-in-ausgewaehlten-reisebeschreibungen-ida-pfeiffers-1797-1858/ (17.12.2023), 5.

[2] Vgl. Jehle, Hiltgund: Ida Pfeiffer. Weltreisende im 19. Jahrhundert. Zur Kulturgeschichte reisender Frauen. Münster/New York 1989, 20.

[3] Ebd., 22.

[4] Der Begriff Biedermeierdame findet sich u.a. bei Habinger, Gabriele: Ida Pfeiffer. Eine Forschungsreisende des Biedermeiers, Wien 2004.

[5] Vgl. D’Uva, Begegnung, 2023, 14.

[6] Vgl. ebd.

[7] Pfeiffer, Ida: Reise in das Heilige Land. Konstantinopel. Palästina, Ägypten im Jahre 1842. Hrsg. von Gabriele Habinger. Wien 1995, 71f.

[8] Vgl. Jehle, Ida, 1989, 130.

[9] Vgl. Stamm, Ulrike: Der Orient der Frauen. Reiseberichte deutschsprachiger Autorinnen im frühen 19. Jahrhundert. Köln / Weimar / Wien 2010, 127.

[10] Annegret Heitmann, „[A]lles öde und kahl, und somit echt isländisch. Ein Reisebericht aus dem Jahr 1846 oder die Anfänge des Island-Tourismus, in: Journal of Northern Studies 1 (2011), 39–56, 48.

[11] Vgl. Pfeiffer, Ida: Reise nach dem skandinavischen Norden und der Insel Island im Jahre 1845, 2 Bde., Pest 1846.

[12] Ida Pfeiffer, Nordlandfahrt. Eine Reise nach Skandinavien und Island im Jahre 1845, hg. von Gabriele Habinger, 2. Auflage, Wien 1999, 19.

[13] Ebd., 17.

[14] Vgl. Ida Pfeiffer, Reise in die Neue Welt. Amerika im Jahre 1853, hg. und Vorw. Von Gabriele Habinger, Wien 1994, 31f.

[15] Ebd., 172.

[16] Vgl. Habinger, Biedermeierdame, 130.

[17] Vgl. Ida Pfeiffer, Abenteuer Inselwelt. Die Reise 1851 durch Borneo, Sumara und Java., hg. und Vorw. von Gabriele Habinger, Wien 1993, 35.

[18] Vgl. ebd., 99.

[19] Vgl. D’Uva, Valentina: Begegnung – Betrachtung – Annäherung. Das „andere“ Geschlecht in ausgewählten Reisebeschreibungen Ida Pfeiffers (1797–1858), Masterarbeit Universität Salzburg 2022, 28–31, 34, 92.

[20] Vgl. ebd., 29–34.

By |2024-02-15T00:21:28+01:0015. Februar 2024|ForschungsErgebnisse|0 Comments

Valentina Sophia D’Uva, M.Ed. BA ist Senior Scientist für Neuere Geschichte am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg. Bereits in ihrer Masterarbeit hat sie sich mit der Reisenden Ida Pfeiffer sowie ausgewählten Reisebeschreibungen auseinandergesetzt. Derzeit arbeitet sie zu diversen Themen aus dem Bereich ‚Medialität‘, ‚Reiseberichte des 18. und 19. Jahrhunderts‘ sowie ‚Frauenreisen in der Neuzeit‘.

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