„Hausgehilfe“ – Making of einer Verwaltungskategorie

Wer als Hausgehilfin zu definieren war, war im Österreich der Zwischenkriegszeit höchst umstritten. Dies war Teil einer Geschlechterpolitik, die Frauen die Gratifikationen von gewerblicher (Fach-)Arbeit verweigerte.

Die Dienstbotin Hedwig Sascha in Halle (Saale) zur Zeit des deutschen Kaiserreichs. Fotograf unbekannt. Public Domain. Quelle: Wikimedia Commons/Werner Freitag/Katrin Minner/Andreas Ranft (Hg.): Geschichte der Stadt Halle, Band 2: Halle im 19. und 20. Jahrhundert, Halle 2006.

Noch in der Zwischenkriegszeit war der häusliche Dienst nicht nur die wichtigste Erwerbstätigkeit von Frauen, sondern auch fast ausschließlich weiblich besetzt. Laut der Volkszählung von 1934 betrug der Frauenanteil des sogenannten „niederen Hauspersonals im Haushalt“ 98,5 Prozent.[1] Gemäß der zeitgenössisch durchgesetzten Imagination einer ‚Geschlechternatur‘, die Frauen angeblich zu Hausfrauen und Müttern prädestinierte, galt der häusliche Dienst als genuin weibliche Tätigkeit. Wie schon vor dem Ersten Weltkrieg waren Hausbedienstete[2], obwohl mehrheitlich in Städten tätig, vielfach aus ländlichen Gegenden zugewandert und in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen.

Für sie war der Dienst im Haushalt eine der wenigen Möglichkeiten, sich ein Auskommen zu organisieren. Zu vielen Lehrberufen, die zu Facharbeiter*innenpositionen führten, fanden lediglich junge Männer Zugang. Obwohl sich Arbeiterinnen gemessen an der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg neue Branchen und Beschäftigungen erschlossen, erhielten sie deutlich weniger Lohn als Männer und waren meist auf Hilfsarbeiter*innenpositionen verwiesen.[3]

Politisch und rechtlich gestützte Geschlechterungleichheit

Einrichtungen der Arbeitsmarktverwaltung und sozialstaatliche Sicherungssysteme, in der Zwischenkriegszeit im Auf- und Ausbau, institutionalisierten die Benachteiligung von Frauen. So wurden ihnen Sozialleistungen mit Verweis auf ihren angeblichen Status als Versorgte im Haushalt vorenthalten, während Arbeitsämter etwa erwerbslose Frauen unter Druck setzten, als Hausgehilfinnen in Stellung zu gehen.[4] Der häusliche Dienst war aber in besonderem Maße von Überarbeit, Unfreiheit, zum Teil Gewalt, herablassender Behandlung und/oder schlechten Lebensbedingungen geprägt.

Die Unterbringung von Hausbediensteten im Dienstgeber*innenhaushalt wurde in politischen Debatten sowie von Behörden und Gerichten als Argument gegen ihre Gleichstellung mit anderen Arbeiter*innen ins Feld geführt. Bis in die Anfangsjahre der Ersten Republik schrieb das Recht den Status von Hausbediensteten als persönlich abhängige und dem Hausherrn unterworfene Haushaltsmitglieder fest.

Neues Recht, neue Unklarheiten

Zu Beginn der Ersten Republik wurden häusliche Dienste gesetzlich neu geregelt. Insbesondere durch das Hausgehilfengesetz (1920) und die Ausweitung der Arbeiterkrankenversicherung auf das Hauspersonal (1921) erhielten Hausgehilfinnen Anteil an manchen der Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung. Von vielen der für Arbeiter*innen geltenden Rechte, etwa der Arbeitslosenversicherung oder einer festen Begrenzung der Arbeitszeit, blieben sie aber ausgenommen.

Die frisch erlassenen Gesetze brachten neue rechtliche Unklarheiten mit sich – schon während der Monarchie hatten uneindeutige Bestimmungen immer wieder zu Konflikten geführt. Denn einerseits veränderten die Gesetze den Personenkreis, der nun aus behördlicher und juristischer Perspektive als „Hausgehilfen“ gelten sollte; andererseits legten sie diesen nicht zweifelsfrei fest. Außerdem umfasste das Aufgabenspektrum von Hausbediensteten oft jede Tätigkeit, die in den Haushalten anfiel: Vom Putzen, Kochen, Waschen bis hin zur Pflege, Gartenarbeit oder Einsätzen im Gewerbe oder der Landwirtschaft der Dienstgeber*innen.

Gerade diese Situation führte zu Auseinandersetzungen, in deren Rahmen der häusliche Dienst nicht nur klarer definiert, sondern auch Hierarchien zwischen Hausbediensteten und anderen Erwerbstätigen neu durchgesetzt wurden.

Die Praxis passt nicht ins Schema

Dienstmädchen mit Galanen, Wien (zwischen 1905 und 1914). Public Domain. Fotograf: Emil Mayer (1871-1938). Quelle: Wikimedia Commons/Damals in Wien. Menschen um die Jahrhundertwende. Photographien von Emil Mayer.

Denn amtlichen Erwerbskategorien lag die Vorstellung einer klaren Unterscheidbarkeit von Arbeiter*innen, Hausgehilfinnen, Landarbeiter*innen etc. zugrunde. Angesichts ihrer Vielgestaltigkeit ließen Hausgehilfinnendienste in der Praxis eine eindeutige Einteilung aber nicht immer zu. Aus staatlicher Perspektive war dies eine unhaltbare Situation; schließlich wurden unterschiedlich kategorisierten Erwerbstätigen je unterschiedliche Rechte und Pflichten zuteil.

Wo nicht eindeutig war, wie eine Person zu beschäftigen oder zu versichern war, waren Beschwerden und Interventionen von Beschäftigten, Dienstgeber*innen, Sozialversicherungsträgern etc. bei Behörden oder Gerichten vorprogrammiert. So war es der Verwaltungsgerichtshof, dem in Folge eine wichtige Rolle zukam, die Kriterien zur Unterscheidung von Hausgehilfinnendienst und anderen Erwerbstätigkeiten zu definieren.

Hausgehilfinnen in Einrichtungen und Anstalten?

Mitte der 1920er Jahre drehten sich vier Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof etwa um die Frage, wie ‚Köchinnen‘, ‚Stubenmädchen‘ oder ‚Mädchen für alles‘ einzuordnen waren, wenn sie nicht bei privaten Dienstgeber*innen, sondern in Krankenanstalten, Klöstern oder Kinderheimen arbeiteten.

Grundsätzlich orientierte sich die Kategorisierung von Beschäftigten am Kontext, für den sie beschäftigt waren: So wie Lohnarbeiter*innen ins Gewerbe gehörten und Landarbeiter*innen in die Landwirtschaft, sollten Hausgehilfinnen eben im Haushalt tätig sein.

Viele Zeitgenoss*innen sahen Hauspersonal keineswegs nur in Bürgerhäusern, sondern in Haushalten unterschiedlichster Art. Warum zu diesem nicht auch Bedienstete in Anstaltshaushalten gezählt werden sollten, erschloss sich noch in der Zwischenkriegszeit den wenigsten – zumal sie hinsichtlich der Tätigkeiten des Personals und manchmal sogar in Bezug auf das Zusammenleben der hier untergebrachten Menschen einem Privathaushalt ähnlich waren. Viele Einrichtungen und Anstalten hatten in der Monarchie selbstverständlich Hauspersonal beschäftigt.

Hausgehilfinnen oder Arbeiterinnen?

Im Recht der Ersten Republik war es aber strittig, ob diese Beschäftigten als Hausgehilfinnen oder andere Erwerbstätige anzusehen waren. Im Fokus der Behörden und des Verwaltungsgerichtshofs in letzter Instanz standen nun etwa jene Einrichtungen, welche sich weigerten, für ihr ‚Hauspersonal‘ die erhöhten Sozialversicherungsbeiträge für Arbeiterinnen zu zahlen.

Andere Verfahren drehten sich um die Hauspersonalabgabe, die in manchen Städten jenen Dienstgeber*innen vorgeschrieben wurde, die mehr als eine oder zwei Hausgehilfinnen beschäftigten. Klöster, Stifte, aber auch manche Privatpersonen wollten deren Zahlung vermeiden und erhoben bei Behörden Beschwerde.

Das Wirtschaften macht die Hausgehilfin

Titelblatt: Sammlung der Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes und der Rechtssätze des Invalidenentschädigungsgerichtes. Administrativer Teil, zusammengestellt von Max Schuster, Jg. XLVIII, Wien 1925, online unter: ALEX. Historische Rechts- und Gesetzestexte Online/Österreichische Nationalbibliothek.

Der Verwaltungsgerichtshof machte in den Verfahren klar, dass für ihn nur ‚physische Personen‘ (reale Einzelpersonen) als Dienstgeber*innen von Hausgehilfinnen in Frage kamen. ‚Juristische Personen‘, also Anstalten, Einrichtungen oder Vereine, schloss er als solche hingegen aus. Für die Klassifizierung der Beschäftigten waren also nicht deren tatsächliche Tätigkeiten entscheidend, sondern die Weise des Wirtschaftens im Arbeitskontext Haushalt:

„Die ‚Hauswirtschaft‘ steht im Gegensatze zur Wirtschaft eines Betriebes. Die Bediensteten […] widmen ihre Dienste ja öffentlichen Anstalten, deren Wirtschaftsorganismus gewiss keine ‚Hauswirtschaft‘ im Sinne des Hausgehilfengesetzes darstellt und die auch keinen ‚Hausstand‘ kennen.“[5]

Der Haushalt als Besonderheit?

Vom Betrieb unterschied sich der Haushalt nach Interpretation des Verwaltungsgerichtshofs dadurch, dass er eine Verbrauchswirtschaft war. Dies brachte demnach auch besondere Anforderungen an die Beschäftigten mit sich. Denn die Hauswirtschaft verlangte Dienste „von Mensch zum Menschen“[6] und damit auch eine persönliche Beziehung zu den Dienstgeber*innen: „Dem Begriffe ‚Hausgehilfe‘ liegt ein eigenartiges enges Verhältnis zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer zugrunde, dessen Grundlage die private Hauswirtschaft ist.“[7]

Mit der Betonung eines angeblich engen Verhältnisses übernahm der Verwaltungsgerichtshof die von bürgerlich-christlicher Seite oft vorgebrachte Vorstellung eines Dienstes als ‚Vertrauensverhältnis‘ zwischen den in ‚Hausgemeinschaft‘ lebenden Hausgehilfinnen und Dienstgeber*innen. Die von vielen Hausgehilfinnen erfahrene Ausbeutung und Gewalt kehrte diese vielfach unter den Tisch.

Besondere Arbeitskräfte

Aber darüber hinaus entwarf der Verwaltungsgerichtshof ein neues Verständnis des Haushalts. Denn bis zum Ende des Ersten Weltkrieges hatten er und der Oberste Gerichtshof Haushalte in ähnlichen Verfahren noch vorrangig als Ordnungseinheiten begriffen: als die kleinsten Zellen der Gesellschaft, die zur Ordnung des gesellschaftlichen Ganzen beizutragen hatten. Über diese sollte der Haus- und Dienstherr wachen, dem das Personal zu Treue und Gehorsam verpflichtet war.

In den 1920er Jahren hingegen betonte der Verwaltungsgerichtshof, dass der Haushalt ähnlich wie ein Betrieb eine Wirtschaftseinheit darstellte. Hausgehilfinnen waren damit nicht mehr die abhängigen Hausgenossinnen, als die Gesetze und Höchstgerichte sie in der Monarchie noch sahen. Sie wurden nun als Arbeitskräfte gefasst, die aber ausschließlich in Privathaushalten tätig sein sollten.

Der Verweis auf das angebliche „enge Verhältnis“ kam in den älteren höchstgerichtlichen Verfahren bis 1920 zwar vor, spielte aber eine deutlich geringere Rolle. Jetzt wurde es als Ausdruck des angeblich besonderen Charakters der Hauswirtschaft wichtig und avancierte zum wesentlichen Unterschied zwischen Haus- und gewerblichem oder Anstaltspersonal. Und da eine besondere Wirtschaft eben besondere Arbeitskräfte voraussetzte, konnten Hausgehilfinnen kaum als reguläre Arbeitskräfte gelten.

Eine Neu-Durchsetzung der Ungleichheit

Somit etablierte der Verwaltungsgerichtshof jenes Ideal des Hausdienstes als Grundsatz für Behördenhandeln, das bereits zuvor immer wieder als Argument gegen die Erweiterung der Rechte und Ansprüche von Hausgehilfinnen bemüht worden war: Weil sie in persönlichen Diensten im Haushalt tätig waren und im Dienstgeber*innenhaushalt lebten, war ihr Dienst mit gewerblicher oder anderer Lohnarbeit nicht vergleichbar. Eine relative Benachteiligung von Hausgehilfinnen ließ sich vor diesem Hintergrund rechtfertigen, selbst wenn die Grenzen zwischen häuslichem Dienst und (gewerblicher) Lohnarbeit in der Praxis oft verwischten.

Gleichzeitig trug das Gericht mit seinen Erkenntnissen dazu bei, das Ungleichheitsverhältnis zwischen männlichen und weiblichen Erwerbstätigen zu stärken. Denn der Haushalt sollte der vornehmliche Wirkungsort von Frauen sein und, unterstützt durch sozialpolitische Maßnahmen, auch bleiben.

Jessica Richter

Der Beitrag fasst einige Ergebnisse des 4. Kapitels meiner Dissertation zusammen. Vgl. Jessica Richter: Zur Produktion besonderer Arbeitskräfte. Auseinandersetzungen um den häuslichen Dienst in Österreich (Ende des 19. Jahrhunderts bis 1938), unveröff. Diss., Universität Wien 2017.

Vgl. auch Jessica Richter: What is “Domestic Service” Anyway? Producing Household Labourers in Austria (1918–1938). In: Dirk Hoerder, Elise van Nederveen Meerkerk, Silke Neunsinger (Hg.): Towards a Global History of Domestic and Caregiving Workers (= Studies in Global Social History 18/Studies in Global Migration History 6), Leiden 2015, 484–510.

Anmerkungen

[1] Bundesamt für Statistik: Die Ergebnisse der österreichischen Volkszählung vom 22. März 1934. Bundesstaat. Textheft (= Statistik des Bundesstaates Österreich 1), Wien 1935, 164.

[2] Der Begriff „Hausgehilfe“, in Rechtstexten in der männlichen Form verwendet, setzte sich erst mit dem „Gesetz vom 26. Februar 1920 über den Dienstvertrag der Hausgehilfen (Hausgehilfengesetz)“, StGBl. 1920, Nr. 101 durch. Zuvor waren häusliche Bedienstete unter dem Terminus „Dienstboten“, der auch landwirtschaftliches Personal umfasste, gefasst worden.

[3] Käthe Leichter: Die Entwicklung der Frauenarbeit nach dem Krieg. In: Kammer für Arbeiter und Angestellte [Käthe Leichter] (Hg.): Handbuch der Frauenarbeit in Österreich, Wien 1930, 28-42, hier 31f., 39f.

[4] Vgl. u.a. Käthe Leichter: Frauenarbeit und Arbeiterinnenschutz in Österreich, Wien 1927, 38; Verena Rauch: Arbeitsmarktpolitik und die Erste Frauenbewegung in Österreich 1916 bis 1920, unveröff. Dipl.Arb., Universität Wien 2013, 62-70; Irina Vana: Arbeitslose Männer und verdienstlose Frauen? Auswirkungen der austrofaschistischen Arbeitsmarktpolitik auf die geschlechtliche Normalisierung von Arbeitslosigkeit. In: Veronika Duma/Linda Erker/Veronika Helfert/Hanna Lichtenberger (Hg.): Perspektivenwechsel: Geschlechterverhältnisse im Austrofaschismus, Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 27 (2016) 3, 16-43, hier 19-22.

[5] Sammlung der Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes und der Rechtssätze des Invalidenentschädigungsgerichtes. Administrativer Teil, zusammengestellt von Max Schuster [Erkenntnisse VwGH – Sammlung Budwiński], Jg. XLVIII, Wien 1925, A. 385/23, 308, online unter: Österreichische Nationalbibliothek, ALEX.

[6] Erkenntnisse VwGH – Sammlung Budwiński, A. 268/23, 171.

[7] Erkenntnisse VwGH – Sammlung Budwiński, A. 385/23, 308.

By |2019-03-01T18:10:12+01:0015. Dezember 2017|ForschungsErgebnisse|1 Comment

Diplomstudium Sozialwissenschaften und Masterstudium European Regional Development in Hannover bzw. Cardiff/UK. Doktoratsstudium im Fach Geschichte zur Normalisierung von Hausgehilfinnendiensten in Österreich (Ende des 19. Jahrhunderts bis 1938) an der Universität Wien. Derzeit leitet sie die Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien und forscht am Institut für Geschichte des ländlichen Raumes in St. Pölten. Vorstandsmitglied von fernetzt. Forschungsschwerpunkte: Soziologie und Geschichte der Arbeit und Lebensunterhalte, Migrations-, Agrar- und Geschlechtergeschichte.

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