Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten Frauen in Wien nur wenige Möglichkeiten in kollektiven Wohnformen zusammenzuleben. Eine Ausnahme war das Einküchenhaus „Heimhof Frauenwohnheim“ im 19. Bezirk.
Die Idee zum Wohnmodell Einküchenhaus in Wien war im Kontext der radikalen bürgerlichen Frauenbewegung entstanden. Diese thematisierte und kritisierte die oft prekären Lebens- und Arbeitssituationen von Staatsbeamtinnen, Lehrerinnen oder auch Künstlerinnen. Es war Auguste Fickert (1855–1910), die den Anstoß zur Realisierung eines Einküchenhauses für Frauen in Wien gab. 1910 gründete eine Gruppe engagierter Frauen rund um Fickert eine gemeinnützige Bau- und Wohnungsgenossenschaft, die nur ein Jahr später das „Heimhof Frauenwohnheim“ realisieren sollte.
Einküchenhaus „Heimhof Frauenwohnheim“
Im Oktober 1911 eröffnete die gemeinnützige Bau- und Wohnungsgenossenschaft „Heimhof“ das erste Wiener Einküchenhaus in der Peter-Jordan-Straße. Bereits einige Wochen zuvor hatten die ersten Bewohnerinnen ihre Zimmer im bezogen. Die Zielgruppe des Beamtinnenheimes, wie es auch genannt wurde, waren alleinstehende, in bürgerlichen Berufen arbeitende Frauen. Durch diese Wohnform sollten sie von hauswirtschaftlicher Arbeit entlastet und ihnen ein selbstbestimmtes, emanzipiertes Leben ermöglicht werden.[1]
Die Bewohnerinnen des „Heimhof Frauenwohnheimes“ lebten in etwa 70 Ein- und Zweibettzimmern. In den Mietpreisen waren die Kosten für die Zimmer und die gemeinsamen Wohnräume sowie das Frühstück inbegriffen. Die Lebenshaltungskosten hatte die Genossenschaft an ein durchschnittliches Einkommen einer Staatsbeamtin angepasst. Trotzdem kritisierten Frauenrechtsaktivistinnen die Miete als zu hoch für jene Frauen, die ein Zimmer im Frauenwohnheim am dringendsten brauchten.[2]
Genossenschaftliche Organisation
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts engagierten sich Frauenbewegungen in vielen europäischen Ländern für eine genossenschaftliche Organisation verschiedener Lebensbereiche von Frauen. Sie gründeten Haushalts- und Konsumgenossenschaften genauso wie Genossenschaftsbanken oder Wohngenossenschaften. Es waren emanzipatorische Versuche, Lebensbereiche, die durch männlich geprägte Politiken reglementiert waren, ein Stück weit selbst zu organisieren und zu bestimmen. Dennoch waren es vor allem Männer, die den Gremien der Genossenschaften vorstanden und entscheidungstragende Positionen einnahmen.
Die gemeinnützige Bau- und Wohnungsgenossenschaft „Heimhof“ legte in ihren Statuten fest, dass nur Frauen Genossenschafterinnen werden konnten. Sie mussten alleinstehend sein und in bürgerlichen Berufen arbeiten. Der Erwerb von Genossenschaftsanteilsscheinen sicherte der Genossenschafterin die Möglichkeit, ein Zimmer im „Heimhof Frauenwohnheim“ zu mieten.
Doch erst kurz vor Auflösung der Genossenschaft im Jahr 1972 übernahm eine Frau zum ersten Mal die Vorstandsfunktion. Die Gründe dafür waren unterschiedliche: Einerseits ermöglichten Klauseln in den Statuten der Genossenschaft auch Männern Mitglieder in den Gremien der Genossenschaft zu werden. Andererseits entsprach die vorwiegend männliche Besetzung von Funktionärsposten den gesellschaftspolitischen Strukturen und Machtverhältnissen.[3]
Zentralisierung der Hauswirtschaft im Einküchenhaus
Was war aber nun das Einküchenhaus oder Zentralküchenhaus, wie es auch bezeichnet wurde? Das Einküchenhaus basierte auf einem kollektiven, zentralwirtschaftlich organisierten Wohnmodell. Ab Ende des 19. Jahrhunderts propagierten Frauenrechtsaktivistinnen und Vertreter:innen von Reformbewegungen diese neue Wohnform in europäischen und nordamerikanischen Städten.[4]
Die Bewohner:innen lebten in kleinen Wohneinheiten ohne Küchen; für die notwendigste Versorgung waren die Wohnräume in manchen Fällen mit Kochnischen ausgestattet. Dazu kamen Hauswirtschaftsräume wie die Zentralküche oder die Wäscherei, und gemeinschaftliche Räume wie etwa Terrasse oder Garten, Lesezimmer, Bibliothek oder Kinderbetreuungseinrichtungen.
Im Fokus der Idee Einküchenhaus stand die Versorgung der Bewohner:innen durch eine Zentralküche, die bezahlte Facharbeiter:innen bewirtschafteten. Die Speisesäle waren gesellschaftlicher Treffpunkt für die Bewohner:innen, die hier gemeinsam essen und sich austauschen konnten. Bei Bedarf ließen sie sich das Essen über Speiseaufzüge, die es in vielen Einküchenhäusern gab, in die oberen Stockwerke zu den individuellen Wohnräumen schicken.
Professionalisierung und Rationalisierung der Hauswirtschaft
Mit der Idee der zentralisierten und rationalisierten Hauswirtschaft knüpften Frauenbewegungen an städtebauliche Konzepte utopischer Sozialisten wie Charles Fourier (1772–1837) und Robert Owen (1771–1858) an. Diese im frühen 19. Jahrhundert entworfenen kollektiven Siedlungsmodelle waren Antworten auf veränderte Produktionsbedingungen im Zuge der Industrialisierung. Die damit einhergehende Umstrukturierung gesellschaftlicher Lebens-, Wohn- und Arbeitsbedingungen betraf besonders Frauen. Stadtplaner versuchten der zusätzlichen Belastung für Frauen durch außerhäusliche Lohnarbeit mit einer Professionalisierung der Hauswirtschaftsarbeit entgegenzusteuern.[5]
Auch das von Ebenezer Howard (1850–1928) in England Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte Gartenstadtkonzept war Vorbild für das Modell Einküchenhaus. Howard plante genossenschaftlich organisierte Siedlungen an der Grenze von Stadt und Land anzusiedeln. In ihrer Gestaltung schlug er sowohl individuelle Wohnräume als auch kollektive Hauswirtschaftshäuser vor, die Angestellte der Genossenschaft bewirtschaften sollten.[6]
Auto/biographische Fragmente über das „Heimhof Frauenwohnheim“
Als kollektives Wohnmodell für Frauen nahm das Einküchenhaus „Heimhof Frauenwohnheim“ eine besondere Stellung im Wiener Wohnbau ein. Dennoch ist nur wenig über jene Frauen bekannt, die sich für die Realisierung des Frauenwohnheimes einsetzten und noch weniger über jene, die darin wohnten.
Meine Suche nach Selbstzeugnissen, wie etwa Tagebüchern, Briefen oder Fotos, die über das Leben der Bewohnerinnen im „Heimhof Frauenwohnheim“ erzählen könnten, war nur wenig erfolgreich. Im Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA) stieß ich schließlich auf die umfangreichen Lebensaufzeichnungen der ehemaligen Bewohnerin Adolfine Schumann. Sie ermöglichen Einblicke in den Lebensalltag im Frauenwohnheim in den Jahren während des Zweiten Weltkrieges.
Adolfine „Dolfi“ Schumann
Im Souterrain hatten wir einen schönen Aufenthaltsraum und Bibliothek. Ferner gab es einen Dachgarten mit Dusche und Holzpritschen, wir hatten einen schönen Speisesaal, einen Bügelraum, aber vor allen Dingen einen schönen Garten mit Bänken und Liegestühlen.
Adolfine Schumann, Lebens- und Tagebuchaufzeichnungen, Familienchronik 2, 67, Privatsammlung „in memoriam Adolfine Schumann“.
Ich kam mir vor wie eine Prinzessin, mit Bedienerin, Garten, Telephon, Köchin. Nie hätte ich davon zu träumen gewagt. Mit einemmal kam alles meine Straße daher.
Adolfine Schuman (1916–2014), von ihrer Familie und ihren Freund:innen „Dolfi“ genannt, lebte während des Zweiten Weltkrieges als junge Frau für einige Jahre im „Heimhof Frauenwohnheim“. Sie hatte gerade eine neue Arbeitsstelle als Bürokauffrau angenommen und zog im Jänner 1939 aus der kleinen, engen Wohnung ihrer Familie in ein eigenes Zimmer in der Peter-Jordan-Straße. Im „Heimhof“ waren zu dieser Zeit mehrere Zimmer frei – jüdische Bewohnerinnen mussten während des Nationalsozialismus ihre Zimmer verlassen. In ihrem Tagebuch beschrieb sie, wie deutlich sich ihr Leben dadurch veränderte.
Als eines von sieben Kindern einer Wiener Arbeiter:innenfamilie war Adolfine Schumanns Jugend von Haus- und Betreuungsarbeit der jüngeren Geschwister und später der erkrankten Mutter geprägt. Trotz allem hatte sie die Möglichkeit, eine Lehre und ihren Abschluss an der Handelsschule zu machen.
Die durch den Wegfall hauswirtschaftlicher Arbeit gewonnene Zeit nutzte Schumann, um zu lesen, – Bücher aus der Bibliothek im Dachgeschoss des „Heimhof Frauenwohnheimes“ standen den Bewohnerinnen zur Verfügung –, um ins Theater zu gehen oder auf der Terrasse und im Garten des Wohnhauses zu entspannen.[7]
Erst als Schumanns Partner und schließlich Ehemann ab dem Sommer 1941 regelmäßig bei ihr übernachtete, begannen sich Probleme mit den Mitbewohnerinnen abzuzeichnen. Sie hatte eine wichtige Regel im Haus übertreten: Männlichen Gästen war es im „Heimhof Frauenwohnheim“ nicht erlaubt, zu übernachten bzw. hier zu wohnen. Schumanns Auszug aus ihrem Zimmer im „Heimhof“ und der Umzug in die gemeinsame Wohnung folgten im Frühjahr 1942.[8]
Emanzipation oder Hausarbeit reloaded?
Adolfine Schumanns Schilderungen ihres Alltagszeigen eine Reihe wichtiger Themen der feministischen Diskussion über das Einküchenhaus als Wohnmodell bürgerlicher Frauen im 20. Jahrhundert auf: Für Schumann bedeutete das „Heimhof Frauenwohnheim“ den Aufstieg aus einer Arbeiter:innenfamilie in ein bürgerliches Milieu. Die kollektive Wohnform des Einküchenhauses, vor allem die Professionalisierung der Hausarbeit sowie Bildungs- und Kulturangebote wie etwa die Bibliothek, ermöglichten ihr Entlastung im Arbeitsalltag und Zugang zu Bildung.
Was für Schumann in vieler Hinsicht Emanzipation in ihrem Leben bedeutete, veränderte für die Angestellten der Bau- und Wohnungsgenossenschaft „Heimhof“ jedoch nicht grundlegend ihre Arbeitsverhältnisse oder ihren Lebensalltag. Die Verlagerung der Hausarbeit von bürgerlichen Frauen hin zu in hauswirtschaftlichen Berufen arbeitenden Frauen zeigt zum einen auf, dass die radikale bürgerliche Frauenbewegung die Klassenfrage in diesem Wohnmodell nicht ausreichend mitdachte. Gesellschaftliche Machtverhältnisse blieben weitgehend unreflektiert. Zum anderen wird deutlich, dass durch das Einküchenhaus-Modell auch Geschlechterrollen und Zuständigkeiten im Bereich der Hauswirtschafts- und Reproduktionsarbeit wenig hinterfragt wurden. Versorgende und dienende Arbeiten wurden gesellschaftlich weiterhin Frauen zugewiesen.
Nach Adolfine Schumanns Tod haben Verwandte, ihre Nichte Eva Trinkl und ihr Neffe Manfred Oberreiter, Teile des Nachlasses digitalisiert und für die in weiten Teilen der Welt lebende Familie online zugänglich gemacht: http://trinkl.net/dolfi/index.html. In einem Gespräch im Juli 2021 haben die beiden mir über ihre Tante erzählt. Vielen Dank an Eva Trinkl und Manfred Oberreiter für diese Erzählungen und die Möglichkeit, die Dokumente Adolfine Schumanns nutzen zu können!
Dieser Text ist im Rahmen der Recherchearbeiten zu meiner Masterarbeit „Wie Frauen wohnen: Geschlecht und Emanzipation im kollektiven Wohnbau ‚Heimhof Frauenwohnheim‘ in Wien. Fragmente einer Frauenbewegungsgeschichte“ entstanden. Die Teilhabe von Frauen an politischen und gesellschaftlichen Debatten, insbesondere die Rolle der Frauenbewegungen in Wohnbaudiskursen, sowie deren Errungenschaften und Narrative stehen im Fokus der Masterarbeit. 2020 erhielt ich für meine Masterarbeit den Maria-Ducia-Forschungspreis.
Anmerkungen
[1] Vgl. Leopoldine Kulka, Die Eröffnung des „Heimhofes“, in: Neues Frauenleben, Nr. 11, Wien 1911, 293–296.
[2] Vgl. Karoline Baron, Bericht über die Generalversammlung der Heimhofgenossenschaft, in: Die Postanstaltsbeamtin, (1910) 2, 11–13, hier: 13.
[3] Vgl. Gabriella Hauch, Frauen bewegen Politik. Österreich 1848-1938, Innsbruck/Wien/Bozen 2009, 90.
[4] Vgl. Ulla Terlinden/Susanna von Oertzen, Die Wohnungsfrage ist Frauensache! Frauenbewegung und Wohnreform 1870 bis 1933, Berlin 2006, 138.
[5] Vgl. Franziska Bollerey/Kristiana Hartmann, Kollektives Wohnen. Theorien und Experimente der utopischen Sozialisten Robert Owen (1771–1858) und Charles Fourier (1772–1837), in: archithese, Nr. 8, Niederteufen 1937, 15-26, hier: 16f.
[6] Vgl. Ulla Terlinden, Wohnungsreformpolitik in der alten Frauenbewegung – ein wichtiges Thema der Frauenpolitik, in: Archiv der deutschen Frauenbewegung, Ariadne – Almanach des Archivs der deutschen Frauenbewegung, Wie Wohnen? Die Diskussion der ›Wohnungsfrage‹ in der Frauenbewegung, Heft 36, Kassel 1999, 13–17, hier: 13f.
[7] Vgl. Adolfine Schumann, Lebens- und Tagebuchaufzeichnungen, Familienchronik 3, 85, Privatsammlung „in memoriam Adolfine Schumann“, http://trinkl.net/dolfi/index.html.
[8] Vgl. Adolfine Schumann, Lebens- und Tagebuchaufzeichnungen, Familienchronik 3, 126 und Familienchronik 5, 156, Privatsammlung „in memoriam Adolfine Schumann“, http://trinkl.net/dolfi/index.html.
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