Die Jungs unter sich: Deutschsprachige Spielemagazine und Gender 1980-2000

Mädchen mögen keine digitalen Spiele, dessen war sich die frühe Spielepresse sicher. So sicher, dass die Magazine zwei andere Fragen nur selten stellten: Warum waren Spiele so eine Männerdomäne und welche Rolle spielte der Spielejournalismus selbst bei der Etablierung dieses Männerclubs?

Abb. 1: Ausschnitt aus einer Werbeanzeige. © Acclaim Entertainment

„Warum mögen Mädchen keine Videospiele?“,[1] fragte 1993 das Spielemagazin MAN!AC in seiner allerersten Ausgabe und leitete so einen ausführlichen Artikel über Frauen und Spiele ein. Darin fasste ein ungenannter Autor die Ergebnisse einer Umfrage des Magazins unter einer Reihe Mädchen und Frauen im Alter zwischen 14 und 22 Jahren zusammen und versuchte der Frage nachzugehen, warum diese Gruppe so eine Minderheit unter den Fans digitaler Spiele und des dazugehörigen Journalismus darstellte. Inhaltlich zeichnet der Artikel dabei ein für die Zeit sogar recht differenziertes Bild: Es gäbe einfach keine guten Spiele für Mädchen und die Versuche, die einige Firmen dahingehend unternommen hätten, seien „phantasielos und peinlich“,[2] auch weil es nur sehr wenige Spieleentwicklerinnen gäbe.

Damit benennt dieser Artikel wenigstens in Teilen schon recht klar Ursachen, die bis heute als Gründe gelten, warum Mädchen und Frauen in der Kultur digitaler Spiele sehr lange nahezu unsichtbar waren. Das ist ungewöhnlich, denn eigentlich war deutschsprachiger Spielejournalismus der 1990er selten besonders gut darin, zu erkennen, warum Frauen und Mädchen unter Spieler*innen und Leser*innen so unterrepräsentiert waren. Mit dem Bewusstsein über diese Schräglage der Geschlechterverhältnisse im Gaming war die Redaktion der MAN!AC nicht allein, der Artikel sprach vielmehr etwas an, das allgemein als vermeintliche Tatsache anerkannt war.

„Hassen alle Mädels Mario & Co […]?“

Abb. 2: Titel des Artikels zur Umfrage. © MAN!AC 11/1993

Ich schreibe bewusst „vermeintlich“, denn tatsächlich liegen keine zuverlässigen Daten zur Rezeption von Spielen und Spielejournalismus durch Frauen vor. Schon der Artikel der MAN!AC[3] war mit einigen Fotos und Kurzstatements der befragten Mädchen und Frauen illustriert, die z.T. angaben, dass sie Spiele mochten oder dass sie zumindest nichts per se dagegen hätten, aber z.B. kreative Hobbys Spielen vorzogen. Genauso legen wissenschaftliche Untersuchungen der Computernutzung von Jugendlichen aus der Zeit ein zumindest komplizierteres Bild nahe[4] als es sich Branche und Journalismus lange selbst erzählten. Was sich dagegen tatsächlich belegen lässt, ist, dass sich in den 1980ern und 1990ern klare Ideen verfestigt hatten, wie ein typischer Spieler auszusehen hatte – und er war genau das: Ein Spieler, keine Spielerin.

Die Erfindung von Gamer Culture

Tatsächlich lässt sich die Konsolidierung von Gaming im Allgemeinen und Gamer Culture im Speziellen als Männlichkeitskultur nicht monokausal auf Spielemagazine zurückführen, aber Spielemagazine wurden in dieser Entwicklung zu einem wichtigen Forum.[5] Denn theoretisch hätte Gaming als eine Kultur, die dezidiert rund um digitale Spiele entstand, nicht unbedingt eine Männerdomäne werden müssen. – Es ergibt zwar Sinn, wenn man sie als eine Fortsetzung von Computerkulturen auf der einen und Phänomenen wie Flipperkulturen auf der anderen Seite sieht,[6] aber gerade in Europa, wo sich durch Glücksspielgesetze vielerorts nie eine Arcade-Kultur wie in den USA herausbilden konnte, hätte Gaming auch in eine andere Kultur münden können. Spielemagazine bildeten hier allerdings ein Vehikel, um von Männlichkeit dominierte Spielkulturen fortzusetzen.

Seit ihrem Aufkommen in den frühen 1980ern hatten Spielemagazine eine entscheidende Rolle dabei gespielt, digitale Spiele zur Männerdomäne zu erklären.[7] Sie bebilderten Artikel mit Playboy-Fotos,[8] fragten, wie man denn ausgerechnet „als Frau“[9] zu Spielen käme, veranstalteten Gewinnspiele, bei denen man „die Maße der Lady [Samantha Fox] (Oberweite, Taille, Hüfte)“[10] einreichen sollte, druckten regelmäßig streng auf heterosexuelle Männer ausgerichtete Erotikspecials[11] und -rezensionen samt misogynem Habitus und bebilderten nicht zuletzt schon die Cover gerne mit Illustrationen von leicht bekleideten oder nackten Frauen in sexualisierten Posen.

Die Jungs unter sich

Abb. 3: Einige Cover der Power Play des Jahres 1991. © CH Ludens

So betrachtet steckt im Artikel der MAN!AC ein interessanter Widerspruch, der zugleich keiner ist. Der Beitrag erschien in der Erstausgabe des Magazins, als die Redaktion aus nur vier Mitgliedern bestand – alles Männer. Mit Martin Gaksch und Winnie Forster waren zwei gefeierte Spielejournalisten Chefredakteure, die schon in den 1990ern auf eine relevante Fanbase bauen konnten. Beide hatten zuvor schon z.B. für die Power Play gearbeitet, was sich auch im Impressum der ersten MAN!AC-Ausgabe spiegelt. In der darin abgedruckten Danksagung tauchen mit Namen wie Heinrich Lenhardt, Anatol Locker oder Boris Schneider weitere einflussreiche Figuren der deutschsprachigen Spielemagazinlandschaft auf, die den oft provokativen Stil der Magazine über Jahre mitgeprägt hatten. Mit anderen Worten: Männer, die einen nennenswerten Anteil an der Ausrichtung des deutschsprachigen Spielejournalismus und der Konstruktion von Gamer Culture als Männerdomäne hatten, stellten die Frage, warum Frauen keine Videospiele zu mögen schienen.

Zugleich zeigt die Umfrage der MAN!AC die Dynamik, die sich schrittweise ab den 1980ern in der Gamer Culture herausbildete: Sie war nicht einmal zwingend oder zu jedem Zeitpunkt aktiv feindselig z.B. gegenüber Frauen. Sie erklärte vielmehr (weiße, heterosexuelle) cis Männer zu einer unhinterfragten Norm und Frauen höchstens zu einer Ausnahme.

Zockerweibchen und Gamer Girls

Abb. 4: Ausschnitt aus dem Umfrage-Artikel. © MAN!AC 11/1993

Hassten Mädchen also Videospiele? Ganz sicher nicht, das zeigen sogar die Antworten, die die MAN!AC selbst ausschnittsweise veröffentlichte, auch wenn der Artikel das ironischerweise überging. Zugleich unterschlug die MAN!AC-Redaktion die Frage, ob nicht Jungen und Männer ähnliche Vorbehalte gegenüber Videospielen hegten, wie sie die Frauen in der Umfrage äußerten. Spielejournalisten der 1990er wussten merklich nicht, wie sie spielende Frauen einzuordnen hatten, weil sie nicht der von ihnen selbst konstruierten Logik entsprachen. Mädchen und Frauen, wie die MAN!AC sie befragte, standen einem Medium kritisch gegenüber, das ihre Interessen nicht bediente. Aussagen wie „Wenn mir langweilig ist, ist’s OK“[12] oder „Videospiele finde ich dämlich, weil alle nur mit Gewalt zu tun haben und man ständig irgendetwas vernichten muß“[13] beschreiben keine Abneigung gegen ein Medium per se, sondern eine Abneigung gegen eine Kultur, die die Sprecherinnen nicht abholte oder sie sogar ausgrenzte. Anders formuliert: Für den Spielejournalismus der 1990er waren Männer ‚Computerfreaks‘ oder ‚Zocker‘, Frauen waren entweder mediales Sexobjekt oder ‚Zockerweibchen‘. Jede Form von Queerness außerhalb dieser Cisheteronormativität existierte nach der Logik dieses Diskurses schlicht nicht.

Ausblick

So wie die Redaktion der MAN!AC bei ihrer Erstausgabe 1993 auffällig ‚unter sich‘ war, so blieb sie das auch laut Impressum späterer Hefte noch lange darüber hinaus.[14] Damit war das Magazin bei weitem nicht allein, sondern ähnliches lässt sich auch für andere Redaktionen feststellen. Damit reiht es sich in eine ganz konkrete Kultur ein, die sich nur unter der Linse von Männlichkeit verstehen lässt. Der Spielejournalismus hatte Gamer Culture als maskuline Kultur geprägt und sein Geschäftsmodell und seine Leserschaft darum aufgebaut, was sich wiederum auch in den Themen spiegelte, die besprochen wurden. Frauen existierten in den Narrativen, die sich so durchgesetzt hatten, nur bedingt und wenn doch nur als Ausnahme, die näherer Erklärung bedurfte.

Die drängende Frage über solche punktuellen Beispiele hinaus, der sich auch mein Promotionsprojekt in diesem Kontext widmet, ist also vor allem, wie diese Männlichkeitsdiskurse im Gaming und insbesondere im Spielejournalismus entstanden, sich verfestigten und auch abseits von offensichtlichem Sexismus wie etwa stark sexualisierter Werbung sich selbst bestätigten. Digitale Spiele und ihre Kulturen sind, gerade in der Form, wie sie schon seit den späten 1990ern immer wieder konstruiert wurden, stark männlich dominiert und dementsprechend braucht es ein tiefergehendes Verständnis von Männlichkeit in diesen Räumen, um die Geschlechterdynamiken besser zu verstehen. Für den englischsprachigen Raum hat es in den letzten Jahren dahingehend einige Vorstöße gegeben,[15] für den deutschsprachigen Raum stehen vergleichbare Impulse, insbesondere in Bezug auf Spielemagazine, derzeit noch aus.

Aurelia Brandenburg

Anmerkungen

[1] MAN!AC 11/93, S. 60.

[2] MAN!AC 11/93, S. 61.

[3] Das Zitat in der Überschrift ist dem Inhaltsverzeichnis der MAN!AC-Ausgabe entnommen: MAN!AC 11/93, S. 4.

[4] Vgl. z.B. Renate Nötzel, „Computerspiele – ein Aspekt geschlechtsspezifischer Techniksozialisation“, in Frauen verändern Lernen: Dokumentation der 6. Fachtagung der AG Frauen und Schule, hg. von Sigrid Giesche und Dagmar Sachse (Kiel: Hypatia Verlag, 1988), 39–43; Helga Jungwirth, „Game-Boys, aber kaum Game-Girls …“, in Computerspiele – (un)heile Welt der Jugendlichen?, hg. von Jürgen Maaß und Christian Schartner (München, 1993), 53–64.

[5] Siehe z.B. Graeme Kirkpatrick, The Formation of Gaming Culture: UK Gaming Magazines, 1981-1995 (London: Palgrave Macmillan UK, 2015), doi:10.1057/9781137305107 . Konkret in Bezug auf den deutschsprachigen Spielejournalismus lässt sich das zudem auch an den Auflagen und der damit verbundenen Reichweite konkreter Magazine ablesen. Siehe dazu auch Aurelia Brandenburg, „Print Runs of German Gaming Magazines 1980-2000“, Confoederatio Ludens, 23. Oktober 2023, https://doi.org/10.58079/mr91 .

[6] Anne Ladyem McDivitt, Hot Tubs and Pac-Man: Gender and the Early Video Game Industry in the United States (1950s–1980s), Hot Tubs and Pac-Man (Berlin/Boston: De Gruyter Oldenbourg, 2020), 49, doi:10.1515/9783110668575 .

[7] Siehe dazu z.B. die bestehende Forschung zu Werbung und Spielemagazinen wie etwa Megan Condis und Jess Morrissette, „Dudes, Boobs, and GameCubes: Video Game Advertising Enters Adolescence“, Media, Culture & Society, 2023, 1–18, doi:10.1177/01634437231159533 .

[8] TeleMatch 01/83, S. 37.

[9] TeleMatch 07/83, S. 70.

[10] ASM 07/86, S. 51.

[11] Siehe auch Aurelia Brandenburg, „‚Andererseits sind die Mädchen sehr diskret‘: Strip-Poker-Rezensionen in frühen Spielemagazinen“, Spiel|Formen, 2024. [in Vorbereitung]

[12] MAN!AC 11/93, S. 60.

[13] MAN!AC 11/93, S. 61.

[14] Von 1993-2000 hatte das Magazin tatsächlich eine Männerquote von 100%. Siehe dazu auch Aurelia Brandenburg, „Dataset: German Games Journalists 1980-2000“, Confoederatio Ludens, https://chludens.hypotheses.org/ [in Vorbereitung]

[15] Besonders ist hier die Forschung von Graeme Kirkpatrick zu nennen. Siehe Kirkpatrick, The Formation of Gaming Culture; Graeme Kirkpatrick, „How Gaming Became Sexist: A Study of UK Gaming Magazines 1981–1995“, Media, Culture & Society 39, Nr. 4 (2017): 453–68, doi:10.1177/0163443716646177 .

By |2024-07-15T15:08:54+01:0015. Juli 2024|QuellenArbeit|0 Comments

Aurelia Brandenburg hat Geschichte, Digital Humanities und Cultural Landscapes in Würzburg studiert und arbeitet inzwischen als Doktorandin im Forschungsprojekt „Confoederatio Ludens“ an der Hochschule der Künste Bern. Im Zuge dessen promoviert sie an der Universität Bern zu Männlichkeit in deutschsprachigen Spielemagazinen der 1980er und 1990er. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen besonders in den geschichtswissenschaftlichen Game Studies und der Geschichte digitaler Spiele, meist mit Schwerpunkt auf Gender und Queerness. Sie ist außerdem sowohl Mitglied im Arbeitskreis Geisteswissenschaften und Digitale Spiele (AKGWDS) als auch Teil der Redaktion von Language at Play.

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