Frauen, Besitz und das Spätmittelalter in Klosterneuburg

Waren Frauen im Mittelalter wirklich rechtlos? Hatten sie keine Möglichkeiten selbstständig zu handeln? War es ihnen verwehrt, über Besitz zu verfügen? Das bis heute weitverbreitete Bild von Frauen im Mittelalter lässt all dies vermuten, hält aber einer Überprüfung nicht stand.

Das Bild zeigt das Stifterbildnis im Hausmanstetter-Urbar. Es zeigt das Stiftereherpaar Markgraf Leopold III. und seine Gemahlin Agnes von Waiblingen eine Kirche haltend, über ihnen Maria Mutter Gottes mit dem Jesuskind und zu ihren Füßen ein Bischof und Mönche.
Das Stifterbildnis im Hausmanstetter-Urbar (StAKl Gb 1/1a, fol. VS14v). © Amelie Rakar

Die geschlechtergeschichtliche Städteforschung zum Mittelalter konnte feststellen, dass die rechtliche Stellung von Frauen infolge des Bevölkerungswachstums im Hochmittelalter besser und eigenständiges Handeln für Frauen einfacher wurde. Durch die gestiegene soziale Dynamik infolge der Stadtentwicklung nahm die rechtliche Differenzierung von Menschen unterschiedlicher Gruppen zu. Es entstanden durch Lohnarbeit – vorwiegend in den Städten aber ebenso in der Landwirtschaft – zahlreiche Erwerbsmöglichkeiten, wodurch die Chancen und die Mobilität der Menschen in vielen Bereichen stiegen. So konnten etwa immer mehr Menschen es sich leisten zu heiraten, da sie finanziell unabhängiger waren und nicht mehr der Zustimmung ihrer Angehörigen oder ihrer Brotherren bedurften.[1]

Fragt man nach den Handlungsmöglichkeiten von Personen, muss die Kategorie Geschlecht zur Anwendung kommen, die als wesentliches Strukturprinzip des Sozialen gilt und zugleich als analytisches Werkzeug in der Geschlechtergeschichte dient. Außerdem spielt neben der mehrfach relationalen Kategorie Geschlecht vor allem die soziale Herkunft eine tragende Rolle, wenn man sich mit Quellen aus dem Mittelalter beschäftigt. Denn die soziale Herkunft beeinflusste, wer in Quellen abgebildet wurde. Daher ist zu fragen, wie Menschen innerhalb spezifischer politischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Strukturen, die ihr Leben bestimmten, „Möglichkeiten für individuelles Handeln fanden“.[2]

Das Ehe- und Arbeitspaar

Heide Wunder prägte für das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit den Begriff des „Ehe- und Arbeitspaares“.[3] Frauen beteiligten sich ebenso wie Männer am Einkommen des Haushaltes und der Versorgung der Familie. Die „gemeinsame Arbeitskraft“ des Ehepaares bildete die Grundlage der „Familienwirtschaft“ und bedeutete eine gewisse Selbstständigkeit für Frauen.[4]

Die Vormundschaft, die Männer über ihre Ehefrauen innehatten und sie verpflichtete, für „Schutz und Schirm“ zu sorgen, hatte im ausgehenden Mittelalter – insbesondere in den Städten – nur noch selten Bedeutung. Ambivalent zur Idee der Vormundschaft verhielt sich demnach die Tatsache, dass verheiratete Männer und Frauen im alltäglichen Leben als Ehe- und Arbeitspaare auftraten und gemeinsam dem Haushalt vorstanden. Des Weiteren waren Frauen und Männer in vielen Gebieten des deutschsprachigen Raums in besitz- und erbrechtlichen Belangen weitgehend gleichberechtigt.[5]

So konnten Frauen über ihren in die Ehe mitgebrachten oder selbstständig erworbenen Besitz frei verfügen. Bei Vermögen, das gemeinsam als Ehe- und Arbeitspaar erwirtschaftet worden war, bedurfte es der Zustimmung der Frau, wenn der Ehemann dieses veräußern wollte und umgekehrt. Die gleichen erbrechtlichen Möglichkeiten von Frauen und Männern sind durch Stadtrechte belegt, in denen kaum rechtliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Bezug auf das Vererben und Erben zu finden sind.[6]

Alle legitimen Söhne und Töchter waren vielfach gleichermaßen erbberechtigt, denn es war im Interesse der Angehörigen, dass Frauen ebenfalls erben konnten und somit Besitz innerhalb der Familie weitergegeben und erhalten werden konnte.[7] Durch diese Gleichheitsregel in vielen Stadtrechten erhielten alle Geschwister den gleichen Anteil am Vermögen und Besitz der Eltern. Darüber hinaus waren Frauen in spätmittelalterlichen Städten fähig, zu testieren und konnten frei bestimmen, wer ihren Besitz erbt.[8]

Frauen konnten über ihr Erbe, Vermögen und ihren Besitz verfügen und wenn ihnen dieses verwehrt wurde, konnten sie dies einklagen. Frauen in spätmittelalterlichen Städten waren also keineswegs rechtlos, wie ältere Narrative nahelegen, aber „die generelle Rechtsfähigkeit stand […] in einem komplexen Spannungsverhältnis zur Rechtsungleichheit von Frauen und Männern“.[9]

Und wie sah dies im spätmittelalterlichen Klosterneuburg aus?

Auch für Klosterneuburg um 1500 ließ sich diese Rechtsstellung von Frauen nachweisen,[10] und durch die statistische Auswertung des Hausmanstetter-Urbars konnte ich viele Besitzungen in Händen von Frauen belegen.[11] Urbare sind Verzeichnisse von Gütern und den dazugehörigen Einkünften einer Grundherrschaft, es umfasst also die grundherrschaftliche Liegenschaften sowie die für das jeweilige Gut zu erbringenden Abgaben und Dienste.[12] Das Urbar erlaubt daher eine quellenbasierte Auseinandersetzung mit geschlechterspezifischen Fragestellungen zu Besitzverhältnissen.

Die Grafik zeigt, dass von 694 gemeinschaftlichen Besitzungen 651 im Besitz von Ehepaaren waren.
Verteilung von Gemeinschaftsbesitz nach Besitzungen und erfassten Personengruppen. Quelle: Amelie Rakar

Im Hausmanstetter-Urbars sind insgesamt 1.488 Einträge zu Besitzungen im Stadtgebiet Klosterneuburgs verzeichnet und die Fülle an Informationen ermöglichte es, nach den Handlungsspielräumen von Frauen um 1500 zu fragen.

52,31 % der Besitzungen befanden sich in den Händen von Besitzgemeinschaften, wobei Ehepaare mit 94,21 % über fast alle Besitzungen in Gemeinschaftsbesitz verfügten. Die hohe Anzahl von ehelichem Gemeinschaftsbesitz an den Besitzungen insgesamt (49,28 %) bestätigt das Konzept des Ehe- und Arbeitspaares, das zusammen über ihren Besitz verfügte und diesen verwaltete, auch für Klosterneuburg.

Die Grafik zeigt, dass 76 Frauen und 356 Männer über einen Alleinbesitz verfügten.
Verteilung von Alleinbesitz nach Besitzungen und erfassten Personen. Quelle: Amelie Rakar

Der Besitz von Einzelpersonen fiel mit einem Anteil von 47,69 % etwas geringer aus als der in Händen von Besitzgemeinschaften. Mehrheitlich gehörte der Alleinbesitz Männern (83,17 %) und nur zu einem geringen Teil Frauen (16,83 %). Der Grund für dieses Ungleichgewicht ist, dass Frauen und Männer zwar erbrechtlich gleichgestellt waren, jedoch vorwiegend Männer Besitzungen kauften. Frauen hatten zwar ebenfalls das Recht dazu, aber aus den Klosterneuburger Urkunden geht hervor, dass sie seltener als Käuferinnen und Verkäuferinnen auftraten als Männer.

Heiraten, erben und kaufen

Wie kamen Personen in Klosterneuburg um 1500 an Besitz und wie konnten sie diesen wiederum weitergeben? Wie weit konnten sie selbstständig über ihren Besitz verfügen und welche Handlungsräume standen für wen offen?

Zwei Drittel der Besitzungen in der Stadt Klosterneuburg gehörten zur Grundherrschaft des Stiftes Klosterneuburg. Diese unterstanden freien Leiheformen, was bedeutete, dass die Beliehenen freies Verfügungsrecht über die Besitzungen hatten: sie konnten diese verkaufen, tauschen, verschenken und vererben. Allerdings erforderte dies jeweils die Zustimmung des Grundherrn.[13] Die im Hausmanstetter-Urbar genannten Personen konnten demnach ihre Besitzungen bereits zu Lebzeiten in verschiedenen Formen an andere Personen weitergeben oder nach ihrem Tod vererben.

Im Stiftsarchiv Klosterneuburg finden sich zahlreiche Beispiele für besitzende Frauen. Eine von ihnen war Agnes Sturmauer. Laut Hausmanstetter-Urbar verfügte sie über eine Fleischbank auf dem Obermarkt beim Rathaus, der in der Oberen Stadt lag, und eine halbe Rahe, die sich in der Unteren Stadt befand.[14]

Aufschluss über den Ursprung ihres Besitzes gibt eine Urkunde von 1467, durch die der gemeinsame Kauf einer halben Rahe, ein Teil eines Weingartens, durch Agnes und ihren Ehemann Wolfgang Sturmauer bestätigt wird. Weiters geht aus der Urkunde hervor, dass beide einer höheren sozialen Schicht angehörten:

[Wol]gangen Sturmauer Burger zu Closterneuburg Agnesen seiner hausfrauen, Jorgen Gmechlich des fleischhakers sel[igen toch]ter.[15]

Wolfgang Sturmauer war Bürger der Stadt Klosterneuburg und Agnes die Tochter des bereits verstorbenen Georg Gmechlich, der von Beruf Fleischhacker war. Die Fleischbank dürfte Agnes demnach von ihrem Vater geerbt haben.

Im Hausmanstetter-Urbar wird Agnes als Alleinbesitzerin genannt und darin als Witwe bezeichnet: „Agnes Wolfgangen Sturmauer wittib.“ Wolfgang Sturmauer war zum Zeitpunkt der Niederschrift des Urbars also bereits verstorben. Da der Besitz im Zuge der Ehegemeinschaft erworben worden war, konnte Agnes nach dem Tod ihres Ehemannes über ihren Anteil des ehegemeinschaftlichen Besitzes weiter verfügen und ihr fielen weitere Vermögensanteile zu.

Fazit

Das Foto zeigt eine Seite des Hausmanstetter-Urbars, auf der drei Grundbesitzerinnen angeführt sind.
Drei Nennungen von Frauen im Hausmanstetter-Urbar (StAKl Gb 1/1a, fol. 220v). © Amelie Rakar

Die Zahlen zeigen, dass der im Hausmanstetter-Urbar verzeichnete Besitz in der Stadt Klosterneuburg knapp unter der Hälfte im Gemeinschaftsbesitz von Ehepaaren lag. Das von Heide Wunder konzipierte Ehe- und Arbeitspaar ist dadurch klar ersichtlich. Darüber hinaus gab es sowohl für Männer als auch für Frauen die Möglichkeit allein über Besitzungen zu verfügen. Der Frauenanteil betrug fast 17% unter den Alleinbesitzer*innen.

Die Handlungsmöglichkeiten von Frauen und Männern in Bezug auf Besitz in der spätmittelalterlichen Stadt Klosterneuburg waren weitgestreut: Sie konnten alleine oder in Besitzgemeinschaften Besitzungen innehaben und diese verkaufen, verschenken, vererben und stiften. Diesbezüglich lässt sich feststellen, dass Frauen und Männer in erb- und besitzrechtlichen Angelegenheiten weitgehend gleichgestellt waren und hier keine geschlechtlichen Differenzen erkennbar sind. Dem gängigen Bild von recht- und besitzlosen Frauen im späten Mittelalter muss in Anbetracht dieser Ergebnisse klar widersprochen werden. Ob Personen über Besitz verfügten, hing vielmehr mit der sozialen Schicht als mit dem Geschlecht zusammen.

Amelie Rakar

Anmerkungen

[1] Heide Wunder, Überlegungen zum Wandel der Geschlechterbeziehungen im 15. und 16. Jahrhundert aus sozialgeschichtlicher Sicht. In: Heide Wunder/Christina Vanja (Hg.), Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit (2. Aufl. Frankfurt a. M. 1993) 12-26, hier 20.

[2] Andrea Griesebner/Christina Lutter, Mehrfach relational: Geschlecht als soziale und analytische Kategorie. In: Dies. (Hg.), Die Macht der Kategorien. Perspektiven historischer Geschlechterforschung (Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 2, 2002) 3-5, hier 4.

[3] Heide Wunder, Herrschaft und öffentliches Handeln von Frauen in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit. In: Ute Gerhard (Hg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart (München 1997) 27-54, hier 98.

[4] Kathrin Pajcic, Frauenstimmen in der spätmittelalterlichen Stadt? Testamente von Frauen aus Lüneburg, Hamburg und Wien als soziale Kommunikation (Würzburg 2013) 38.

[5] Cordula Nolte, Frauen und Männer in der Gesellschaft des Mittelalters (Darmstadt 2011) 59f.

[6] Heide Wunder, „Er ist die Sonn‘, sie ist der Mond“. Frauen in der Frühen Neuzeit (München 1992) 244.

[7] Ebd.

[8] Erika Uitz, Die Frau in der mittelalterlichen Stadt (Freiburg/Basel/Wien 1992) 164.

[9] Wunder, Frauen in der Frühen Neuzeit, 244. Frauen konnten nicht Teil des Stadtrates werden und keine politischen Ämter in der städtischen Gemeinschaft belegen. Sie waren somit von politischer Mitbestimmung ausgeschlossen.

[10] Archiv der Stadt Klosterneuburg B 4/5, fol. 10, Nr. 20.

[11] Stiftsarchiv Klosterneuburg (StAKl) Gb 1/1a. Für mehr Einblicke in die Besitzverhältnisse von Frauen im spätmittelalterlichen Klosterneuburg vgl. Amelie Rakar, Mehr als tochter, hausfrau, wittib – Zwischen den Zeilen des Hausmanstetter-Urbars. Studien zu Frauen im spätmittelalterlichen Klosterneuburg (Masterarbeit Universität Wien 2022).

[12] Elisabeth Schöggl-Ernst, Historische Bodendokumentationen: Urbare, Landtafeln und Grundbücher. In: Josef Pauser/Martin Scheutz/Thomas Winkelbauer (Hg.), Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.-18. Jahrhundert) (Wien 2004) 516-529, hier 516.

[13] Helmuth Feigl, Die niederösterreichische Grundherrschaft vom ausgehenden Mittelalter bis zu den theresianisch-josephinischen Reformen (St. Pölten 1998) 33f.

[14] Stiftsarchiv Klosterneuburg Gb 1/1a, 177r u. 327r. Eine Rahe ist ein Flächenmaß und entspricht einem Achtel eines Weingartens.

[15] Stiftsarchiv Klosterneuburg Urk. 1467 IV 29.

By |2024-09-15T17:15:29+01:0015. September 2024|ForschungsErgebnisse|0 Comments

Amelie Rakar ist Archivarin und Historikerin. Sie studierte Deutsche Philologie sowie Geschichtsforschung, Historische Hilfswissenschaften und Archivwissenschaft an der Universität Wien. Als Archivarin arbeitete sie bei STICHWORT. Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung und ist heute im Stadtarchiv Graz tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf Geschlechter- und Stadtgeschichte sowie Personal Archiving.

Leave A Comment

Die folgenden im Rahmen der DSGVO notwendigen Bedingungen müssen gelesen und akzeptiert werden:
Durch Abschicken des Formulares wird dein Name, E-Mail-Adresse und eingegebene Text in der Datenbank gespeichert. Für weitere Informationen wirf bitte einen Blick in die Datenschutzerklärung. Alle Kommentare werden vor Freischaltung von uns überprüft.